ESSAY: Kambodscha kehrt zurück
■ Die zeitweilige Übernahme des kriegszerstörten Landes durch die UNO ist für die Bürger Kambodschas eine außergewöhnliche Chance
Es ist das Schicksal Kambodschas, ein Land zu sein, dessen Zukunft von der ungewissen „Neuen Weltordnung“ abhängt. Die Großmächte der Welt haben sich darauf geeinigt, für das Land eine Milliarde Dollar auszugeben und ihr Prestige mit einem komplizierten UN-Plan zu verbinden. Sie wollen feststellen, ob sie Kambodscha dabei helfen können, sich von einem kommunistischen Land, das vom Krieg zerstört ist, in eine wohlhabende und aufstrebende Demokratie zu verwandeln.
Es gibt mehrere Gründe, warum dieses Geld und die Beachtung der Experten Kambodscha zuteil wird — und nicht einem Land in Osteuropa, wie Polen, das extreme Schwierigkeiten bei seiner Umwandlung in eine Demokratie hat; oder in Lateinamerika, wie Nicaragua, das internationale Hilfe zur Lösung der hartnäckigen Probleme seines latenten Bürgerkriegs gut gebrauchen könnte. Kambodscha trifft in den meisten Ländern der Welt auf Mitgefühl, begründet in dem Leid seiner Bevölkerung während des Vietnamkriegs, dem Holocaust der Roten Khmer und der Besatzung durch Vietnam. Dazu kommt das Schuldgefühl über die Weigerung oder Unfähigkeit der Welt, den Kambodschanern zu Hilfe zu kommen. Die meisten Großmächte tragen Verantwortung für das Leiden während einer oder anderer dieser schrecklichen Episoden.
Es gibt jedoch auch eine andere, eher praktische Überlegung. Wenn die Japaner willens sind, für den Aufbau Kambodschas zu zeichnen, rechnen sie sich aus, daß Kambodscha als Teil einer dynamischen Wirtschaftsregion in Südostasien eine überdurchschnittlich gute Chance hat, sich wieder zu erholen — und wenn Kambodscha friedlich und stabil ist, wird das zur Stabilität und Prosperität der gesamten Region führen und damit die „Yen-Zone“ japanischen Einflusses vergrößern.
Wenn der Plan für Kambodscha Erfolg hat, dann ist es sehr wahrscheinlich, daß andere Länder um ähnliche UN-Pläne bitten. Irakische Dissidenten haben bereits begonnen, den Kambodscha-Plan zu studieren.
Die Tücken des Friedens
In den Genuß solch weltweiter Beachtung zu kommen, hat jedoch auch seine Tücken. Der Erfolg Kambodschas hängt ebenso sehr von Ausländern und der „Neuen Weltordnung“ als auch von den Kambodschanern selbst ab. Die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates haben fast zwei Jahre damit zugebracht, ihren Kambodscha-Plan zu überarbeiten und sich selbst und andere davon zu überzeugen, ihre tödliche Einmischung in dem Land zu beenden. Vor allem China mußte dazu veranlaßt werden, seine Unterstützung der Roten Khmer fallenzulassen.
Nun ist die erste Frage, ob dieser Plan die Roten Khmer daran hindern kann, sich den Weg zurück an die Macht freizuschießen. Meine Antwort ist ja. Aber ich wünsche doch, sie wären in dem Plan gar nicht erst berücksichtigt worden. Nach dem Plan haben die Roten Khmer ein Sechstel der Stimmen in dem Obersten Nationalrat, der die „United Nations Transitional Authority in Cambodia“ (UNTAC) bei der Vorbereitung fairer und freier Wahlen beraten soll. Die gegenwärtige Regierung in Phnom Penh wird das Land unter UN-Aufsicht verwalten. Die Roten Khmer haben keine administrative Macht über die Regierung, die Armee oder das tägliche Leben der Menschen.
Drei Viertel der Truppen der Roten Khmer werden demobilisiert, wie auch die Armeen der anderen Fraktionen. Ihre Waffen werden konfisziert und die restlichen Verbände in getrennte Regionen verwiesen. Doch seit Monaten — wenn nicht seit Jahren — brüsten sich die Roten Khmer damit, daß sie ihre Soldaten und Waffen verstecken, um die UN-Überwachung zu unterlaufen. Das war vorhersehbar. Es ist der Grund, warum die Militärgruppe der UNO unter Leitung eines Australiers so sorgfältig vorbereitet worden ist. Und auch ist es der Grund, warum die Überwachung durch die UNO so lebenswichtig ist.
Korruption unter den Roten Khmer
Es gibt aber eine Reihe von Hinweisen darauf, daß die Roten Khmer ihre Anziehungskraft verlieren. Erstens haben sie selbst Angst, nach Phnom Penh zurückzukehren. Als Prinz Sihanouk am Donnerstag in Phnom Penh eintraf, waren die Roten Khmer nicht da, um ihn abzuholen. Sie blieben in ihren Schlupflöchern in den Bergen, nahe der thailändischen Grenze, und wollen erst im kommenden Februar ins Land zurückkehren. Sie werden nach Kambodscha einfliegen, um an dem Treffen des Obersten Nationalrats teilzunehmen, und dann am selben Tage wieder abreisen, hat Sihanouk erklärt. Aus Furcht vor der Bevölkerung haben die Roten Khmer sogar die Regierung in Phnom Penh um besonders extraterritoriale Rechte gebeten, etwa so wie der Vatikan in Rom. Das haben die Behörden jedoch abgelehnt.
Zweitens bereitet sich mit zunehmender Öffnung zur Außenwelt die Korruption unter den Roten Khmer selber aus. Nach Informationen aus amerikanischen Geheimdienstkreisen haben mehrere der berüchtigsten Köpfe der Roten Khmer ihre eigenen Konten auf thailändischen Banken, gespeist aus den Profiten von den Edelsteinminen, den Konzessionen, die sie an thailändische Holzhändler verkauft haben. So werden riesige Landflächen im Westen Kambodschas abgeholzt. Immer mehr einfache Mitglieder der Roten Khmer fliehen vor ihrer Führung und geben ihren bewaffneten Kampf auf. Auch Prinz Sihanouk selbst scheint — mit Chinas Segen — die Roten Khmer fallenlassen zu wollen.
Die Roten Khmer haben bereits versucht, Flüchtlinge unter Zwang nach Kambodscha zurückzutreiben und sie dort als Gefangene zu halten. UNTAC muß die Bevölkerung vor den Roten Khmer schützen und sicherstellen, daß die Regierung von Hun Sen und alle ihre Vertreter in den Provinzen die neuen demokratischen Regeln respektieren.
Kambodscha braucht fähige Kambodschaner
Wahrscheinlich ist das drängendste unmittelbare Problem in Kambodscha der Mangel an kompetenten und ausgebildeten Leuten. Die Roten Khmer haben Intellektuelle und Fachleute in den Jahren 1975 bis 1978 systematisch ermordet. Die meisten der Überlebenden gingen ins Exil, als danach die Vietnamesen einmarschierten. Tatsächlich wurden die wenigen Intellektuellen, die nach 1979 blieben und für die von Vietnam eingesetzte Regierung arbeiteten, von der Außenwelt wie Marionetten oder Verräter behandelt. Viele Kambodschaner, die aus dem Land flohen und jetzt Bürger der USA, Frankreichs oder Australiens sind, hoffen in ihr Land zurückzukehren und beim Wiederaufbau zu helfen. Aber UNTAC muß diese Kambodschaner erst noch mobilisieren und zurück nach Kambodscha schicken. Kambodscha kann aus eigener Kraft nicht für die acht Millionen Menschen sorgen, die in seinen Grenzen leben. Zwanzig Jahre Krieg und Zerstörung haben die Straßen und Infrastruktur wie auch die Wasser- und Stromversorgung zerstört.
Die Aufgaben sind groß. Wenn die internationale Gemeinschaft an dem UN-Plan festhalten und das Land durch die UNTAC-Verwaltung wiederherstellen will, muß sie die Bürger während der Periode des Waffenstillstands schützen und den Übergang vom Kommunismus zur Demokratie und Marktwirtschaft lehren. Dann muß sie freie und faire Wahlen überwachen lassen. Für Kambodscha ist es eine außergewöhnlich gute Chance, von den Toten zurückzukehren. Elizabeth Becker
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