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In guter Hoffnung auf „ordentliche Sümmchen“

Das Bekenntnis zum „Schutz des ungeborenen Lebens“ richtet sich nur an Frauen, die abtreiben wollen/ Frauen mit Kindern vermissen den „Schutz des geborenen Lebens“/ Ab dem zweiten Lebensjahr versiegen alle staatlichen Hilfen  ■ Von Martina Habersetzer

Berlin (taz) — Das soziale Netz, so suggeriert die Bundesregierung, ist engmaschig genug, um auch in sozialen Krisenzeiten die werdende Mutter samt Kind weich und sicher aufzufangen. Da gebe es Stiftungsgelder und Erziehungsgeld, Unterhaltsvorschuß und Kindergeld, und fast möchte man neidisch werden, daß sich einer Frau auf einmal so viele Geldquellen und Finanzierungshilfen eröffnen, nur weil sie beschlossen hat, ein Kind zu kriegen.

Schauen wir, stellvertretend für die PolitikerInnen, genauer hin. Da ist zum Beispiel die 30jährige Corinna D., wohnhaft in Berlin. Von eitel Sonnenschein konnte keine Rede sein, als sie ihrem Freund — einem aufstrebenden Akademiker in den besten Jahren mit gutgefüllter Brieftasche — die „freudige Nachricht“ mitteilte. Wenn sie nicht abtreibe, bringe er sie um, drohte er daraufhin seiner bis dato geliebten Freundin. Unterhaltszahlungen kämen ohnehin nicht in die Tüte — „Ich lasse mir doch nicht mein Leben versauen“ —, und die Vaterschaft werde er auch nicht anerkennen.

Corinna D. entschloß sich dennoch, das Kind zu kriegen — trotz eines nicht gerade üppigen Gehalts. Außerdem debattierten ja gerade in Bonn wieder einmal alle über den notwendigen „Schutz ungeborenen Lebens“ und entsprechende Hilfen für die betroffenen Frauen, also hoffte auch Corinna, die nötige Unterstützung als Alleinerziehende zu bekommen. Immerhin sind 17 Prozent aller Mütter in den alten Bundesländern alleinerziehend, in Berlin sogar 29 Prozent.

Corinna D. machte sich also auf den Weg durch die Instanzen. Sie habe Glück, erfuhr sie bei einer Sozialberatung, da sie nicht mehr als 1.350 Mark netto monatlich verdiene, könne sie sich mit der Bitte um Unterstützung an die Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens“ wenden. Sie vergebe an die werdende Mutter eine einmalige „Starthilfe“. Rund 20 Millionen Mark aus Bundesgeldern hat diese Stiftung jährlich zur Verfügung. Sie zahlt aber nur, wenn Hilfe auf eine andere Art und Weise, zum Beispiel Sozialhilfe, nicht möglich ist oder nicht ausreicht. Einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Stiftung gibt es nicht. Viele Anträge werden ohne Begründung abgelehnt. Und: Mit Zunahme der Anträge reduzieren sich die bewilligten Summen. Die einmalig ausgezahlte Starthilfe beläuft sich derzeit auf durchschnittlich 1.500 Mark.

Für den „Start“ ihres Kindes beantragte Corinna D. also finanzielle Hilfen zur Anschaffung von Umstandskleidung, Erstlingsausstattung und so weiter. Ihr Gang durch die Instanzen führte sie nun zur nächsten Frage: Erziehungsgeld. Just zu diesem Zeitpunkt entschied die Bundesregierung, ab 1992 einen dreijährigen Erziehungsurlaub einzurichten — gleichzeitig aber nur zwei statt bisher eineinhalb Jahre Erziehungsgeld zu bewilligen und auch das erst ab 1993. Die Folge: Sie kann ihren „Urlaub“ nur eineinhalb bzw. zwei Jahre nutzen. In dieser Zeit erhält sie etwa 1.700 Mark monatlich — zusammengesetzt aus Sozialhilfe für sich und das Kind (rund 900 Mark), Kindergeld (25 Mark), Erziehungsgeld (600 Mark) und Wohngeld. Hinzu kommt der gesetzliche Regelunterhalt des Mannes — ein Taschengeld in Höhe von 203 Mark. Das ist der einzige Beitrag, den der Kindesvater per Gesetz für sein Kind leisten muß. Weigert sich der zu zahlen, springt die Unterhaltsvorschußkasse ein — jedoch nur für höchstens drei Jahre. Danach müssen Mutter und Kind ohne Unterhalt zurechtkommen.

Zum „Schutz ungeborenen Lebens“ hat man in Bonn kaum mehr als schwammige Bekenntnisse parat. Zum Schutz geborenen Lebens fällt den PolitikerInnen jedoch überhaupt nichts mehr ein. Ist das Kind erst einmal geboren, versiegen spätestens nach zwei Jahren sämtliche staatlichen Finanzquellen. Als Alleinerziehende würde Corinna D. jetzt nur noch rund 900 Mark Sozialhilfe plus Wohngeld erhalten. Ihr bleibt also nichts anderes übrig, als wieder arbeiten zu gehen. Jetzt braucht sie einen Kindergartenplatz — doch auch da dreht ihr die Bundesregierung eine lange Nase. Die Debatte über eine Kindergartenplatz-Garantie wurde bis 1997 vertagt. Dann aber müßte ihr Kind gerade eingeschult werden. Was an „Hilfen“ angeboten wird, nämlich Sozialhilfe, sichert noch nicht einmal das Existenzminimum. Zinslose Kredite mit langfristigen Rückzahlungsmöglichkeiten, die verhindern könnten, daß Frauen wie Corinna D. überhaupt in Not geraten, gibt es nicht. Ein entsprechendes Darlehen, das in Berlin einige Jahre vergeben wurde, wurde von Rot-Grün wieder abgeschafft.

Lediglich die Frauen in der ehemaligen DDR haben die Möglichkeit, Leistungen aus dem von der Bundesregierung eingerichteten „Hilfsfonds für schwangere Frauen in Not“ zu beziehen. Mit diesem Fonds werden gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: die Sanierung des Wohnraums in den fünf neuen Ländern und natürlich der Schutz des ungeborenen Lebens. Die Frau kann nämlich Zuschüsse bis zu 20.000 Mark erhalten — allerdings nur, wenn sie mit diesem Geld ihre Wohnung zugunsten des Kindes renoviert oder eine neue kauft. Schließlich sollen auch die Schwangeren an den Aufbauarbeiten beteiligt werden. Ein Rechtsanspruch besteht hier allerdings nicht.

Ein feststehendes Gehalt von beispielsweise 2.000 Mark für die Erziehungsarbeit alleinstehender Eltern mit Kindern bis zu 14 Jahren oder eine Wohnungs- und Kita- Platz-Garantie für Alleinerziehende ist in Bonn kein Thema. Wieso auch, erklärte der Sprecher des Familienministeriums Thomas Thomer. Sozialhilfe, Unterhalt und Wohngeld ergäben doch auch so ein „ordentliches Sümmchen“. Das „ordentliche Sümmchen“ bringt nach Angaben des Diakonischen Werks 65 Prozent aller Alleinerziehenden an den Rand der Armutsgrenze. Acht Wochen vor der Geburt ihres Kindes erhielt Corinna D. übrigens den Bescheid der Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens“. Eine Hilfe aus Stiftungsmitteln sei in ihrem Fall nicht möglich. Sie solle sich an den Kindesvater wenden.

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