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Aus Herthas Tagebuch

■ Mit einem 3:2-Sieg über den FC Remscheid rückt Hertha BSC auf den zweiten Tabellenplatz vor und hat die Aufstiegsrunde zur ersten Fußball-Bundesliga fast schon erreicht

Charlottenburg. 14.58 Uhr. Eine laute U1 hält am Olympiastadion, und vereinzelte Personen setzen sich in Bewegung. Die, denen die Flüssigkeit bereits reichlich blasenabwärts geronnen ist, stellen sich an den Büschen auf. Pissiness as usual.

15.02 Uhr. »Darf ich mal um Ihre Aufmerksamkeit bitten«, krächzt ein Schal- und Fahnenverkäufer und erzählt was von einem Video über Hertha. Ein Absatz ist nicht zu erkennen.

15.25 Uhr. »Ne, ne«, sagt der Kaffee-Einschenker im Presseraum zum Kollegen. »Er hat gesagt, er sucht sich künftig den Ort aus, wo er gern gesehen ist.« Es geht offensichtlich um Bert Vogts, den forschen. Das bevorstehende Spiel scheint kein Thema zu sein.

15.29 Uhr. Seltsame Namen wie Stocki, Schiermoch, Bridaitis werden aufgerufen. »Also dann, toi toi toi, Hertha BSC.« Dieser Stadionsprecher! Ist der nicht unparteiisch?

15.40 Uhr. Der Nationalspieler Armin Görtz bringt die Hertha mit einem verwandelten Foulelfmeter in Führung.

15.50 Uhr. Der Nationalspieler Armin Görtz paßt statt steil zu Gries quer ins Aus. »Armin raus«, gröhlt es von der Tribüne. Kaiser Franz hatte ihn einst ins oberste Team berufen!

15.58 Uhr. Ein weiterer Fehlpaß des Nationalspielers Armin Görtz bringt die Hertha-Freunde aus der Gemütsruhe. »Armin raus«, wird nun bereits sehr laut gefordert. Immerhin , die nennen den Blonden beim Vornamen. Das klingt nicht ganz so gemein.

16.01 Uhr. Meister Pröpper junior, der einzig unterscheidbare Gegner (außer Stocki) schlägt zu. Am Elfer machte der, was er will und ein Tor. Für Remscheid.

16.02 Uhr. »Armin raus.« War Görtz schuld? Der hatte doch gar nichts mit der Sache zu tun.

16.07 Uhr. Endlich kommt Dampf auf! »Zigaretten, Zigarren«, brüllt Manfred Maurenbrecher und verkauft auch gleich eine Schachtel Camel an die Haupttribüne.

16.10 Uhr. Böse Pfiffe jetzt. Remscheids Stocki will nicht mehr mitmachen, bloß weil er von Rath eine übergezogen gekriegt hat.

16.18 Uhr. »Was, der HSV führt in Rostock?« Wieder der Kaffee-Einschenker! Drei Köpfe drehen sich. Der Rest redet über Persönliches.

16.43 Uhr. »Lünsi« (Lünsmann) weiß was. Er nimmt den Ball mal nicht an, sondern lupft ihn über Gegenspieler Tilner, der rauft sich und Lünsi lässig über Stocki. Tor! 2:1 für die Hertha.

16.57 Uhr. Beifall für Armin? Der bleibt trotz Enge am Ball, paßt quer zu Basler, der zu Lünsmann, der zu Gries, und der trifft. Und freut sich! Wo er doch sonst immer solche Probleme hat in der Beziehung. 4.485 jubeln, ein Remscheider Journalistenehepaar ärgert sich. Sind die etwa auch nicht unparteiisch ?

17.18 Uhr. Ganz allein steht Junghans auf dem Rasen und läßt sich interviewen. Nur noch Pohmann ist auf der Tribüne und plappert weiter in ein vor ihm stehendes Mikrofon.

17.32 Uhr. Remscheids Trainer Pirsig wundert sich in der Pressekonferenz: »Wir sind Aufsteiger, aber daß wir einen Elfmeter reingepfiffen gekriegt haben!? Da hätte ich etwas mehr Objektivität erwartet.«

17.33 Uhr. Hertha-Trainer Stange: »Falsche Berichterstattung in den Medien, falsche Zahlen und Bezüge führen dazu, daß Einzelpersonen zu einem Zeitpunkt ausgepfiffen werden, an dem überhaupt kein Grund besteht.« Armin!

17.53 Uhr. Am Bierwagen Gutsmuthsweg: »Ich habe nicht gesagt, der hat gut gespielt. Ich habe gesagt, das ist ein guter Spieler.« Armin?

18.59 Uhr. In der Peepshow am Zoo fragt die Nutte den Kunden mit dem blauweißen Schal mittendrin und unmotiviert: »Wie hat eigentlich Hertha gespielt?« 3:2, sagt der, runzelt dann die Stirn und hält inne. Dann packt er seinen Kram wieder ein und verpißt sich. Peter Unfried

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