Lebt Maxwell?

Dublin (taz) — Nachdem seit zwei Wochen über die Todesumstände des Verlegers Robert Maxwell gerätselt wird, taucht jetzt eine neue Frage auf: War es überhaupt Maxwell, der am 5.November tot aus dem Atlantik gefischt wurde?

Der spanische Autopsiebericht, der von britischen Ärzten als völlig inkompetent hingestellt wurde, ist laut 'Guardian‘ ein „gewissenhaft vorsichtiges Dokument, das der wissenschaftlichen Redlichkeit der Autoren alle Ehre macht“. In dem Bericht wird Maxwells Name nicht erwähnt, es ist immer von „der Leiche“ die Rede. Und die wird als „athletisch mit herausragendem Bauch und kastanienbraunem Haar“ beschrieben.

Maxwell war dick, aber athletisch? Außerdem hatte er rabenschwarzes Haar, das — selbst wenn es gefärbt war — auch durch den Einfluß von Salzwasser nicht die Farbe ändert. Die Ärzte wollten einen Gebißabdruck zwecks Identifizierung machen — die Erlaubnis wurde ihnen aus „humanitären Gründen“ verweigert. Die Polizei hat Fingerabdrücke der Leiche mit denen von Maxwell verglichen, konnte bisher jedoch keine Übereinstimmung feststellen. Der Tote aus dem Atlantik ist lediglich von Maxwells Frau und Söhnen identifiziert worden.

Wer auch immer der Mann war — ertrunken ist er nicht. Der Autopsiebericht schließt das aus. Außerdem heißt es in dem Bericht, daß ein natürlicher Tod durch Herzversagen vor dem Eintritt ins Wasser ebenso ausgeschlossen sei. Diese Version hatte Untersuchungsrichter Gutierrez jedoch angegeben. Und der Bericht wirft weitere Fragen auf. So haben die Ärzte einen ein Millimeter langen Riß unter dem linken Ohr entdeckt, für den es bisher keine Erklärung gibt. Außerdem weise die Leiche keinerlei Merkmale auf, die nach angeblich 13 Stunden im Wasser zu erwarten wären.

Die spanische Polizei konzentriert ihre Ermittlungen derzeit auf eine zweite oder sogar dritte Yacht, die von zahlreichen Augenzeugen zur fraglichen Zeit beobachtet worden war. Yachten von mehr als 30 Meter Länge sind im Hafen Los Cristianos auf Teneriffa sehr selten und fallen deshalb auf. Mehrere spanische Fischer behaupten, eine große Yacht habe vor dem Dorf El Palm- Mar am Tag von Maxwells Verschwinden Anker geworfen — zwei Stunden bevor Maxwells „Lady Ghislaine“ an genau derselben Stelle ankerte. Es ist rätselhaft, daß zwei Schiffe an dieser Stelle ankern, anstatt in den wenige Meilen entfernten Hafen von Los Cristianos einzulaufen, wo sie weitaus geschützter wären. Das würde auch nicht Maxwells Gepflogenheiten entsprechen, versicherte der Hafenmeister.

Ist Maxwell abgetaucht, um die Versicherungssumme zu kassieren? Die britische Zeitschrift 'Spectator‘ berichtete am Wochenende, daß Robert Maxwell ein krankhafter Spieler war. Er soll in den letzten Monaten dem Glück beim Roulette immer verzweifelter nachgejagt sein. Laut 'Spectator‘ war Maxwell Stammgast in mehreren Londoner Kasinos und verspielte nicht selten 250.000 Pfund am Abend. Ralf Sotscheck