: WEU: Konflikte sind vorprogrammiert
Ministerratstagung zur Rolle der WEU für die westeuropäische Sicherheitspolitik und zu Jugoslawien ■ Aus Bonn Andreas Zumach
Bei der heutigen Sitzung der Außen- und Verteidigungsminister der Westeuropäischen Union (WEU) in Bonn wird es kontrovers zugehen: Auf der Tagesordung stehen die künftige westeuropäische Sicherheitspolitik, der Bürgerkrieg in Jugoslawien sowie das Verhältnis zu den osteuropäischen Staaten.
Auf ihrer letzten Tagung am 28. Oktober hatten sich die Minister nicht auf eine gemeinsame Beschreibung der künftigen Rolle der WEU und ihrer Beziehung zur Nato wie zur geplanten europäischen politischen Union der zwölf EG-Staaten einigen können. Insbesondere die britische Regierung verlangt eine entsprechende Klärung als Bedingung für ihre Unterschrift unter den Unionsvertrag beim EG-Regierungsgipfel am 9. und 10. Dezember in Maastricht. Differenzen bestehen vor allem zwischen einem britisch-italienischen Vorschlag sowie einer von Bundeskanzler Kohl und dem französischen Präsidenten Mitterrand vorgelegten Initiative. London und Rom wollen die WEU eng an die Nato anbinden und damit de facto der Mitkontrolle der USA unterstellen; WEU-Streitkräfte sollen ausschließlich außerhalb des Nato-Territoriums eingesetzt werden.
Für Bonn und Paris hingegen soll die WEU der sicherheits- und militärpolitische Arm der künftigen Europäischen Union werden — mit Zuständigkeit innerhalb wie außerhalb Europas.
Die Niederlande unterstützen die britisch-italienischen Vorschläge, Spanien und Belgien die deutsch- französische Initiative. Auf besonderes Mißtrauen, vor allem in London, stößt die Absicht Kohls und Mitterrands zur Aufstellung eines deutsch-französischen Armeekorps, das den Kern einer künftigen WEU- Truppe bilden solle. Nach heftigen Zusammenstößen zwischen Deutschen und Briten bei der Tagung der Nato-Verteidigungsminister Mitte Oktober in Sizilien hatte der Nato- Regierungsgipfel Anfang November in Rom die Gegensätze zunächst mit einer Reihe von Formelkompromissen überdecken können. So wird im Kommunique des Gipfels eine künftige Rolle der WEU „sowohl als Verteidigungskomponente im Prozeß der europäischen Einigung wie als Instrument zur Stärkung des europäischen Pfeilers in der Nato begrüßt“. Formulierungsvorschläge von Deutschen und Franzosen zur „Perspektive einer gemeinsamen europäischen Verteidigung“ scheiterten in Rom an Bedenken vor allem der US- Amerikaner, Briten und Italiener. Nachdem Kohl und Mitterrand letzte Woche in Bonn die Absicht bekräftigten, die deutsch-französische Initiative in „unverwässerter Form“ als Formulierungsvorschlag für das sicherheitspolitische Kapitel des in Maastricht zu unterzeichnenden Vertrages über die Politische Union vorzulegen, sind Konflikte bei der heutigen WEU-Tagung vorprogrammiert. In Bonn fällt auch auf, daß sich der vom Bundeskanzler seinerzeit offensichtlich nicht eingeweihte Außenminister Genscher bis heute öffentlich nicht zu der Initiative Kohls und Mitterands geäußert hat.
Auf dem Hintergrund dieser grundsätzlichen Debatte werden die Minister auch über die Möglichkeiten eines Eingriffs der WEU im EG- Auftrag in den jugoslawischen Bürgerkrieg diskutieren. Trotz des bisherigen Scheiterns aller EG-Bemühungen und der aktuellen Diskussionen über eine Entsendung von UNO- Friedenstruppen schließt zumindest die Bundesregierung nicht aus, daß die WEU doch noch einen entsprechenden Auftrag — möglicherweise sogar vom UNO-Sicherheitsrat — erhalten könnte. Im Bonner Außenministerium wird auf die Resolution 713 des UNO-Gremiums verwiesen, in der die Europäer zu einer Lösung des Jugoslawien-Konfliktes mit eigenen Mitteln aufgefordert werden.
Die Bundesregierung, die derzeit die WEU-Präsidentschaft innehat, erhofft sich von der WEU-Tagung einen Beschluß über einen „Konsultationsrat“ mit den osteuropäischen Staaten. Ähnlich wie in dem vom Nato-Gipfel beschlossene „Nordatlantische Kooperationsrat“ sollen in diesem Rahmen regelmäßige Treffen auf Minister-oder Beamtenebene stattfinden.
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