: Improvisationsorchester
■ Das Ensemble »Zwischentöne« im Ballhaus Naunynstraße
Neue Musik in Kreuzberg« war ein Konzert im Ballhaus Naunynstraße am Samstag abend betitelt, bei dem sich das Ensemble »Zwischentöne« mehrere Uraufführungen vorgenommen hatte. Zur Einstimmung spielten sie mit Music for pieces of wood aber erst mal eine Komposition Steve Reichs in eigener Bearbeitung. Zu vorab auf Tonband aufgenommenem Grundpuls setzen die fünf Musiker auf fünf Paaren Woodblocks unterschiedlicher Tonhöhe mit jeweils festen rhythmischen Patterns sukzessive ein, was ein sich ständig steigerndes und veränderndes percussiv-flirrendes Feld erzeugt.
Es folgte ein schwierigeres Stück, eine Solo-Violinen-Version des Stückes 1+ 1+ 1+ 1 des polnischen Komponisten Witold Szalonek, der als Nachfolger von Isan Yun seit geraumer Zeit eine Kompositionsklasse an der HdK leitet. Ulrich Weber meisterte das Stück, das viel an ungewöhnlicher Technik und Virtuosität verlangt, überzeugend. Da werden der Geige, von fortissimo gestrichenen Intervallketten durchbrochen, perkussive Klangflächen entlockt und Differenzierungen höchsten Ausmaßes verlangt, etwa mit Spitze oder Frosch des Bogens unterschiedlich gegen den Notenständer geklopft.
Nach der Uraufführung eines Soloflötenstücks des jungen Komponisten Tobias Kunze, die Christiane Hellmann solide ausführte, folgte Pläne und Abwege II des aus Wien stammenden, an diesem Abend gleichzeitig als Ensembleleiter fungierenden Komponisten Peter Ablinger. Über mehr als dreißig Minuten läßt er in diesem Stück neuere Musikentwicklungen der letzten 20 Jahre Revue passieren. Da wird performancehaft Seite für Seite aus Büchern gerissen, mit dem dadurch erzeugten Geräusch Rhythmus zu erzeugen, da darf ein Cage's Radio Kurzwellenklänge von sich geben, da wird aus alter Heimat das Vienna Art Ensemble mit Jazzigem zitiert, Kagel-haftes Musiktheater wird per Schauspielerin, die sich durch mitgebrachtes Kassetten-Klatschen feiern läßt, miteingeflochten. Albert-Aylersches erklingt auf Plastik-Saxophon, mit Baßbogen wird ein schräg aufliegendes Blech gestrichen, auf dem langsam, aber sicher ein Glas in's Rutschen gerät, bis es fällt und klirrend zerschellt, und auch die Dreifach-Verstärkung des Saxophons — Klappengeräusche per Kontaktmikrophon, Atemgeräusche per Richtmikrophon und natürlich gewöhnliche Saxophontöne per gewöhnlich gestelltem Mikrophon — darf nicht fehlen. So breitet sich ein kompositorisch äußerst sauber gearbeitetes Zitatensammelsurium aus, das trotz oder gerade wegen solch vielfältig bunter Abwechslung keinesfalls Langeweile erzeugt, aber leider selten über ein klanglichen Flickenteppich hinauskommt.
Den beteiligten Musikern des Ensembles »Zwischentöne« gelang allerdings die denkbare schwierige Aufgabe überzeugend, diese musikalische Collage mit großer Präzision und niemals fallen gelassenen Spannungsbögen zu zeichnen.
Danach ging's eilig in die Fabrik Osloer Straße, wo sich ein neues improvisierendes Orchester um den Geiger Rainer Korf vorstellte. Da findet sich in der Besetzungsliste vom Saxophonisten Manfred Schulze über die beiden Bassisten Christoph Winckel und Matthias Bauer bis hin zum Pianisten Herrmann Keller so einige bekannte Namen. Leider aber war die Werbung oder der Samstagabend-Termin so schlecht gewählt, daß kaum Publikum zum untypischen Spielort fand — was aber der Spielfreude der Musiker keinen Abbruch tat.
Neben der Tutti-Besetzung loteten sie allerlei Kammermusikalisches aus, da spielt Rainer Korf langgezogene romantisch anmutende Geigenlinien zur doppelten Begleitung beider Bassisten, oder Manfred Schulze musiziert ein Bläserquartett dichtester Linienführung mit Uli Weber an der Trompete, Thomas Wiedermann an der Posaune und dem Saxophonisten Heiner Reinhardt. Viel Besinnung auf Free Jazz der ersten Generation zeichnete die musikalische Linie, Expressivität und Lautstärke waren angesagt — schade, daß da so manches Pianistische von Herrmann Keller einfach übertönt war. Zum Abschluß gab's nochmals ein Tutti der gesamten Formation, die den vom Schlagzeuger Matthias Gassert initiierten Marschrhythmus aufgriff und damit zwischen Komik und Bekenntnishaftem musizierte. Ein recht interessantes neues Improvisationsorchester, das man — vielleicht in besser organisiertem Zusammenhang — gern wiederhören würde. Marc Maier
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