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Computerprogramm rettet Frösche

■ Mit Lehrsoftware verändern sich die Lernbedingungen an den Universitäten vollständig/ Nicht nur die Frage, ob Computerprogramme irgendwann den Professor ersetzen könnten, ist umstritten

Berlin. Heidelberger Frösche leben froh und unbeschwert. Das ist das Verdienst von Thomas Müller, Student am Institut für Neurobiologie an der Universität Heidelberg. Er hat das Computerprogramm »STOL« geschrieben, »Simulation von Tier- und Organversuchen in der Lehre«. »STOL« ersetzt neurophysiologische Froschschenkel-Experimente, die die Biologie-, Pharmazie-, Medizin- und VeterinärmedizinstudentInnen im Rahmen eines physiologischen Praktikums durchführen müssen. Rund 100 Frösche wurden Jahr für Jahr allein in Heidelberg »dekapitiert« (geköpft), überschlägt Thomas Müller, bloß um im anschließenden Versuch ein paar Kurven auf dem Oszillographen abzubilden. Das gleiche Bild, und noch vieles mehr, zeigt nun das Programm STOL auf dem Computerbildschirm — garantiert froschfrei.

STOL ist eines von zwanzig Computerprogrammen, die kürzlich in Berlin im Rahmen eines Kongresses den zweiten Deutschen Hochschulsoftware-Preis erhielten. Diese Auszeichnung, mit Geld- und Sachprämien der Computerindustrie verbunden, soll die Entwicklung und die Verbreitung von Computerprogrammen in der Hochschulausbildung fördern. Ausrichter ist die Akademische Software-Kooperation (ASK), eine Gemeinschaftsinitiative des Bundesbildungsministeriums und des Deutschen Forschungsnetzes DFN. Hochschulsoftware teilt man bei der ASK in drei Gruppen ein: Simulationen, die komplexe Sachverhalte anschaulich machen können. Hilfsprogramme oder Werkzeuge, die etwa die Auswertung von Meßwerten erleichtern. Und schließlich , so Dietmar Waudig von der ASK, »Tutorials, sogenannte Drillprogramme, mit denen der Student ohne Dozent am Rechner sich das Wissen aneignet«. Digitale Lehrkräfte also.

Das Froschprogramm STOL gehört offensichtlich zur Gruppe der Simulationen. Das Programm »1st Card« dagegen, ebenfalls preisgekrönt, ist ein typisches Werkzeug. Diese sogenannte »Autoren- und Expertensystemshell« ermöglicht es, eine Art elektronisches Lexikon zu erstellen, mit dem Fach- und Methodenwissen in einem vielfach vernetzten Zusammenhang gelernt und dargestellt werden kann. Geschrieben wurde 1st Card für JuristInnen, geeignet sei es aber auch für andere geisteswissenschaftliche Fächer, betont der Autor, Gerhard Oppenhorst von der Forschungsstelle für juristische Informatik und Automation an der Universität Bonn.

Und die dritte Gruppe, diejenigen Programme, die selbsttätig lehren können? »Eigentlich kein echtes Lernprogramm« sei unter den Beiträgen zum Hochschulsoftware-Preis gewesen, bedauert der Wuppertaler Wirtschaftsinformatiker und Juror Manfred Wolff. Dabei hat man bei der ASK durchaus präzise Vorstellungen davon, wie diese »echten« Lernprogramme aussehen sollten. Sie dürften nicht einfach Fakten vorbeten, sondern sie müßten Wissen »modellieren«, indem sie sich im Dialog mit den BenutzerInnen ständig deren individuellen Bedürfnissen, Fortschritten und Begriffsstutzigkeiten anpassen. Obendrein soll sich die Lehrsoftware in ihrem Aussehen an professionelle Programme annähern und dem »Multimedia«- Trend folgen, also auch stehende und bewegte Bilder und Töne einbinden. Die maßgeschneiderte Wissenspräsentation auf dem Multimedia-Computer könne den studentischen Erwartungen an die Lehre eines Tages am ehesten gerecht werden, vermutet Wolff. Computer statt Colloquium? Für den Augenblick soll die Hochschulsoftware der wachsenden »Überlastung des Lehrpersonals« begegnen. ASK-Vertreter Waudig: »Die Vorlesungen und Übungen sind überfüllt. Wenn der Student nachfragt, kommt er nicht an den Professor ran, weil der keine Zeit hat. Auch die Kontakte mit den Kommilitonen sind manchmal etwas schwierig, oder die anderen wissen auch nichts. Er kann sich dann so ein Lernprogramm nehmen und unabhängig von der Zeit und dem Ort sich den Stoff noch mal aneignen. Aufgrund der Überlast sind die Studenten ja heute schon gezwungen, sich den Stoff überwiegend aus Büchern anzueignen. Und Lehrsoftware ist für manche Sachen ein besseres Medium als Bücher, vor allem weil komplexe Sachverhalte besser dargestellt werden können.«

Wenn die StudentInnen untereinander und mit den Lehrkräften ohnehin nicht mehr zusammenkommen — macht dann nicht der Computer daheim den ganzen Lehrbetrieb überflüssig, mit Mann und Maus und Frosch? Nein, beteuert Dietmar Waudig, die Software könne den Professor niemals ersetzen, das sei auch nicht die Vorstellung der ASK. Kein Wunder, schließlich besteht die ASK-Softwarepreis-Jury ausschließlich aus Professoren.

Doch selbst als Ergänzung der herkömmlichen Lehre werden die »echten« Lernprogramme womöglich nicht das leisten, was die ASK erwartet. Hartmut Simon, Leiter des audiovisuellen Medienzentrums der Universität Siegen, meldet Zweifel an: »Komplexere Inhalte, die in der Hochschule wichtig sind, sind in tutoriellen Lehrprogrammen meiner Ansicht nach nicht zu vermitteln. Das haben auch alle Ansätze, die in den letzten zwanzig Jahren in die Richtung gingen, gezeigt. Sie sind meiner Ansicht nach sämtlich gescheitert“. Vorzüge habe jedoch der Einsatz von Simulationen. Sie „verführen zum Spielen, aber man lernt auch spielend besser, man lernt entdeckend. Es ist wichtig, daß man den Studenten nicht ganz alleine läßt. Wir haben festgestellt, daß es eigentlich den besten Wirkungsquerschnitt bringt, wenn zwei Studenten sich gegenseitig erklären müssen, warum sie jetzt dieses oder jenes machen. Dann verarbeiten sie eine ganze Menge mehr, als wenn einer einfach drauflos spielt.« Die StudentInnen nehmen solche Simulationen durchaus positiv auf. »Die Reaktionen waren ausnahmslos sehr gut«, bestätigt Froschmann Thomas Müller.

Wenn aber das Lernspiel am Computer seinerseits organisiert und in den Lehrbetrieb integriert werden muß, dann kann der Computer die Überlastmisere nicht beheben, sondern kommt selbst gleich wieder unter die Räder. Vor wenigen Tagen erst wurde an der FU ein Computer- Pool für die studentische Öffentlichkeit geschlossen. Es fehlen die Mittel für die Betreuung. marc

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