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Vereinigung auf dem National-Zebrastreifen

■ In der Gethsemanekirche sollte am Buß- und Bettag mit »leisen Tönen der Begegnung« der deutsch-deutsche Streit ein wenig abgemildert werden

Prenzlauer Berg. Soviel lauen Besinnlichkeitsquatsch mit schwarz- rot-goldener Einheitssoße hat die Gethsemanekirche nun wirklich nicht verdient — nicht mal am Buß- und Bettag. Dort, im einstigen Asyl der Opposition im Oktober 1989, waren gestern nachmittag die »leisen Töne der Begegnung« angesagt. »Wossis Willkommen« lautete der Titel der Veranstaltung der evangelischen Berliner »Stadtmission«. Schon das Plakat ließ nichts Gutes ahnen: Zwei einem Verkehrsschild entliehene Strichmänner latschten mit ausgestreckten Händen auf einem Zebrastreifen in den wiedererwachten Nationalfarben aufeinander zu. Die Nichtostler und Nichtwestler aus anderen Ländern blieben zumindest symbolisch gleich außen vor.

Doch statt nun die ost-westliche Karambolage hörbar werden zu lassen, sollten »neue Werte vermittelt« werden. Schließlich seien weder die »westliche Konsumversessenheit« noch der Schritt der Ostler »aus dem staatlichen Atheismus in den praktischen Atheismus« eine »Verheißung«. Das meinte zumindest der Leiter der Veranstaltung Hans-Georg Filker und verwies auf die christliche Botschaft. »Von Gott wird man auch ohne eigene Leistung geliebt, das kann befreiend wirken.« Weder die »sprachlose Selbstverständlichkeit« des Westens noch der »platte Wunsch nach gleichem Lebensstandard« im Osten seien der richtige Weg. Also: Büßen und Beten auf beiden Seiten.

Erfahrungen von der Basis sollten hier hörbar werden, keine idealistischen Reden, meinte Filker. Schon die sonst sauber aufgeteilten Leute aus Ost und West zusammenzubringen, sei »ein Wert an sich«. Bei dem blieb es dann auch weitgehend. Denn weder die schöne Mozartmusik der StudentInnen von der Ostberliner Musikhochschule Hanns Eisler, noch ein bestürzend schlechtes Pantomime-Duo aus Stuttgart vermochten so recht zu Austausch und Auseinandersetzung animieren. In der Erinnerung blieben das demonstrative Zerreißen eines Hundertmarkscheins (echte Werte statt Geld!) und ein Hochzeitsmarsch unterm schwarz-rot-goldenen Baldachin hängen.

Ebensowenig gedanklich anregend waren vorgetragene »Statements« von Bürgern beiderseits der »Mauer, die zwischen den Menschen noch steht«. Ein wenig Scham hier, ein wenig Mahnung dort, das war's dann: »Bis ich meine Vergangenheit in Luft auflösen kann, bedarf es noch vieler leiser Töne.« Doch etwas nahm der Westler dann doch mit nach drüben: Ost-KünstlerInnen sind in der Regel professioneller. Und die »Arschloch«-Pöbeleien des Original-Wossi Wolf Biermann sind leider wirkungsvoller als jede inszenierte evangelische Leisetönerei. Gott sei Dank wurde am Abend dann wenigstens über die »Staatssicherheitsproblematik der Kirche« diskutiert. Hans-Hermann Kotte

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