: Das Verbrechen der Woche
■ Programmreform bei Tele5: Außer kaltem Kaffee wird künftig Blut serviert
Wer ab 1992 noch Tele5 guckt, hat selber Schuld. Denn nach einer Programmreform wird der zufällige „Zapper“, also der Fernsehkonsument mit der Fernbedienung in der Hand, der sich durch die Programme schaltet, plötzlich entweder in einem alten Schlagerfilm landen, GIs bei ihren aufregenden Militäroperationen in Vietnam zuschauen dürfen oder bei Tatort Deutschland, den Beteiligten einer Gewalttat direkt ins Gesicht sehen. Was für den Münchner Sender bisher typisch war, fällt künftig weg — die Videoclips genauso wie der 24-Stunden-Sendetag.
Der einstige Popvideo-Sender wird von den neuen Gesellschaftern (Springer Verlag mit 29 Prozent und Italiens Medienzar Berlusconi mit 21 Prozent Gesellschafteranteilen) kostenträchtig umgemodelt — 500 Millionen werden die Geschäftemacher in Sachen Medien seit 1990 in den Sender investiert haben, bevor sie, irgendwann '94 oder '95, von den Werbeeinnahmen leben können. Aber Geld alleine reicht nicht, denn noch kann erst eine Minderheit von einem guten Drittel aller westdeutschen Fernsehhaushalte das Programm von Tele5 empfangen — und in den östlichen Bundesländern sind es noch erheblich weniger. Weshalb die Geschäftsführung sich derzeit besonders um neue terrestrische Frequenzen bemüht: So werden Zuschauer in Hamburg und Schleswig- Holstein ab Januar '92 Tele5 auch mit normalen Antennen den ganzen Tag empfangen können.
Ob das dann Ausgestrahlte ausreicht, um das eigene Jahres-Soll, den Konkurrenz-Sender Pro7 zu überflügeln, bleibt abzuwarten. Mit ihrem täglich insgesamt siebenstündigen Programm für das Marktsegment „Kind“ mit allerlei schlecht animierten Zeichentrick-Produktionen behaupten sich die bajuwarischen Fernseh-Täter zwar bei den Kabel-Haushalten als Marktführer (Kinder 6-13 Jahre: 18,6Prozent im September '91), aber die älteren TV-Semester lassen sich erfahrungsgemäß nicht so leicht überrumpeln. Mit neuen, typisch amerikanischen Schundserien (Multimillionär jagt in Counterstrike Verbrecher, der Equalizer rächt alle New Yorker) und Wiederholungen, gar Fortsetzungen eingeführter Serienware (Das Model und der Schnüffler, Jürgen Rolands Stahlnetz) allein wird das kaum zu machen sein. Auch nicht mit Spielfilmen, die heutzutage, bei der überschwappenden Flut (4.000-6.000 Titel jährlich insgesamt), schon längst keine Einschaltgaranten mehr sind — und ob der neue, freitäglichen Heimatabend samt Bauerntheater und Volksmusikanten in urigen Gastwirtschaften Zuschauer-Massen bringen kann, bleibt fraglich. Eher schon die Tele5-Eigen-, bzw. Auftrags-Produktionen wie die Spielshow Ruck-Zuck, mit deren jüngster 1.000. Folge und dem scheidenden Moderator Werner Schulze- Erdel der Münchener C-Klassen- Sender seinen Einschaltrekord erreichte (2,4 Millionen Zuschauer). Rezept: Von und mit Spießern — für Spießer. Ob unter der Regie des Werner-Nachfolgers Jochen Bendel ähnliche Rate-Höhepunkte wie '91, als ein Kandidat seinem Mitspieler den Begriff „Floh“ mit der Einführung der Tiergattung „Türke“ näher zu bringen versuchte, erreichen wird? Richtig eklig wird's dann Sonntags: Deutschland hat Angst — Tele5 zeigt, warum. Und dann folgen z.B. originale Kinderleichen im Wald, vielleicht gar mit dem „Geschändet“-Sicherheits-Zertifikat der Tatort Deutschland-Redaktion, Das Verbrechen der Woche (nicht gelogen) und andere Gaunereien — jetzt auch abends jenes Gemisch aus warmem Blut und kaltem Kaffee, das bisher nur aus den morgendlichen Groschenblättern fließt.
Bei solcher Programmplanung scheinen die wenigen Programm- Höhepunkte eher zufällig reingerutscht zu sein. Ein paar Filme der Marx-Brothers, von Monthy Python und Jacques Tati — das war's fast schon im ganzen nächsten Jahr. Höchstens noch das einzig ernstzunehmende journalistische Magazin der Anstalt. In Klargestellt werden Schlagzeilen-Prominente in wenig hektischer Atmosphäre, nach allerlei Presse-Anschuldigungen, ihre Sicht der Dinge darstellen können. Aber das kommt dann auch nur zweimal im Monat und 25 Minuten kurz vor. Ben Vart
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