Fremd wie Uganda-betr.: "Die Eingeborenen sprechen deutsch", taz vom 9.11.91

betr.: „Die Eingeborenen sprechen deutsch“,

taz-special vom 9.11.91

[...] Broders kurzer Blick läßt nichts weiter zu, als die typischen Klischees wiederzukäuen, die nur unaufmerksamen Fremden über ihnen fremde Gegenden einfallen können. Wie etwa in Prenzlauer Berg: „Wer nicht im Viertel wohnt, wird wie ein Eindringling beäugt. Nach Abbruch der Dunkelheit sollte man das Terrain den Einheimischen überlassen.“

Hätte Broder beim Spaziergang durch Ost-Berlin die Touristenkamera vor dem Bauch und das Funktelefon an seiner Hüfte zu Hause gelassen, hätte sich vielleicht auch nicht die halbe Kneipe von ihrem Sonntag- Nachmittags-Kaffee zu ihm umgedreht. Seitdem hier Touristenbusse wie durch den Zoo fahren und, ach Gott, die so bunte-autonome-alternativ-verrückte Szenerie ablichten, mag man die oberflächlichen Voyeuristen nicht mehr.

Seltsam zum Beispiel auch, daß „die Kneipen dunkel und muffig“ sind, wo doch die „Krähe“, in der Broder verschnaufte, gerade wenige Monate alt ist, wie überhaupt die meisten anderen Kneipen und Cafés in der Gegend. Wäre Broder doch bis nach dem Einbruch der Dunkelheit geblieben, wären ihm vielleicht auch all die englisch-, französisch- oder sonstwie sprechenden Freunde der „Eingeborenen“ begegnet. Vielleicht hätte er unter ihnen sogar Gesprächspartner gefunden, und er wäre sich nicht wie auf einer „Expedition“ vorgekommen.

Und hätte Broder genauer hingeschaut, wäre ihm nicht nur aufgefallen, daß die „Feinbäckereien alle Tchibo- oder Eduscho-Schilder in den Fenstern haben“, sondern auch daß diese nahezu alle mit ziemlicher Gründlichkeit Steinwürfen zum Opfer gefallen sind. Also nichts mit „auch hier hält die neue Zeit Einzug“. Und hätte er sich im „Tacheles“ wirklich der Sache zugewandt, hätte er sicher bemerkt, daß die Leute nicht dort sind, weil sie „sich den Besuch in einer Westberliner Disco nicht leisten können“, sondern weil das „Tacheles“ ihr autonomes Projekt ist und ihnen jede Westberliner Disco am Arsch vorbeigeht.

Wenn schon alles in Ost-Berlin „geblieben ist, wie es war“, und nur im „neuen Make-up“ strahlt (an anderer Stelle heißt es dagegen, die Gegend stadteinwärts könne man nicht das wahre Ost-Berlin nennen, „weil es anders ist als zu DDR-Zeiten“), hätte Broder wenigstens ein bißchen an der Farbe kratzen dürfen. Aber dazu hat es bei Broder, der ja nur allzu gern den Berlinern — wer soll das eigentlich sein? — konservative Haltung vorwirft, dann doch nicht gereicht. Und so bleibt er der Fremde und Ost-Berlin ihm immer noch fremd wie Uganda. Angelika Rothmann, Ost-Berlin