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KOSLOWSKIS GITTA PLAUDERT VOM SOFA

Lange geht das nicht mehr gut mit diesem Kerl. Ich hab' Schaller jetzt empfohlen, daß er doch mal 'ne Therapie machen soll, schließlich reden alle kompetenten Leute davon, daß der ganze Osten eine einzige Depression ist, und man weiß ja auch, daß Depressive ganz schön ansteckend sein können. Seitdem ich aber Robin Norwood studiert und die vielen Fragen zur „Zu-viel-lieben“-Krankheit wahrheitsgemäß beantwortet habe, weiß ich, daß ich mich da gar nicht darauf einlassen darf. Da ist es doch wirklich besser, wenn Schaller und seine Ostbrüder und -schwestern sich analysieren lassen, wir im Westen hingegen müssen uns vor zu viel Verständnis und immer neuen Erklärungen hüten, sonst sind wir nämlich quasi Co-Abhängige, und das ist fast so schlimm wie selber krank. Na ja, wie üblich schreit Schaller gleich los, daß er völlig gesund reagiere, und wie kaputt wir in Wirklichkeit seien, sähe man schon an den wirren Artikeln auf dieser Seite. Besonders aufgeregt hat er sich über den „Somnamboulevard“ von gestern, da blicke doch kein normaler Mensch mehr durch, und daß wir jetzt auch noch das Schlafwandeln als Qualität anpreisen, wo doch selbst die ehemaligen DDRler wüßten, daß so was immer Zeichen von unverarbeiteten Konflikten seien... Ich habe dann gesagt, daß das eine alte Schamanentechnik ist und daß es in der DDR wahrscheinlich keine Zauberer mehr gegeben hat und die Leute deshalb anders träumen würden — mal abgesehen davon, daß er sich ja sowieso nie an seine Träume erinnern könnte — das allerdings, mußte ich einräumen, ist nicht sehr ost-typisch, ich kenne nämlich kaum einen Mann, der sich an seine Träume erinnert. Das liegt wahrscheinlich daran, daß sie kaum bewußt leben und daher auch wenig Unterbewußtsein bewußt mitkriegen... Schaller hält das für Quatsch und weiß von Geza Roheim, daß es keine „kulturell bedingten Unterschiede beim Träumen gibt — genauso wenig, wie es verschiedene Arten des Schlafens gibt“. Auf jeden Fall ist er dann doch mal zu 'nem Analytiker gegangen, als er gelesen hat, daß Madonna auch einen hat. Natürlich kam er völlig begeistert wieder zurück, der Mann sei spitzenmäßig, voll auf seiner Linie, hat ihm gesagt, er soll sich bloß nicht von diesen ganzen Westzicken fertigmachen lassen, die seien hier bloß auf Kastration aus — und dann hätten sie sich ganz toll unterhalten. Also, ich hab' gedacht, ich hör' nicht richtig — wenn ich da an meine diversen Therapien denke, wo wir immer an alten Kindheitsmustern und den möglichen Veränderungen rumbastelten. „Und daß ihr so seid“, trimphiert Schaller, „liegt nur an eurer sexuellen Frustration, sagt der Analytiker, wie überhaupt alles Elend in der Welt daran liegt.“ Man kann nämlich alle Probleme der Menschheit in Kinderreime übersetzen (Hinter einer Lokusmauer saß der Doktor Adenauer, hatte kein Papier...) — Gut, daß ich da meinen Joseph Campbell sofort zur Hand hatte: „Es macht die Not des Neurotikers aus, daß er alles in die Sprache kindlicher Sexualität übersetzt, aber wenn der Arzt das auch macht, wo kommen wir dann hin?“

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