Versöhnungsideologie
■ Die ostdeutschen Kirchen wollen sich der Stasi-Krake nicht stellen
Versöhnungsideologie Die ostdeutschen Kirchen wollen sich der Stasi-Krake nicht stellen
Seit dem Sturm der Stasi-Archive im Dezember 1989 ist in ostdeutschen Kirchen bekannt, in welch erschreckendem Maße sie von MfS- Agenten in den eigenen Reihen bespitzelt und gesteuert wurden. Gleichwohl haben sie die Chance verstreichen lassen, wie man die eigenen Verstrickungen aufarbeiten und dabei trotzdem menschlich miteinander umgehen kann.
Der Beschluß des evangelischen Kirchenparlamentes von Berlin-Brandenburg, kirchliche Mitarbeiter nicht auf eine Mitarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit zu überprüfen, hat dieses Versagen der Kirchen erstmals einer größeren Öffentlichkeit ins Bewußtsein gerückt. Niemand versteht, warum ausgerechnet Pastoren und Kirchenfunktionäre sich einem Verfahren entziehen, das bei Abgeordneten, Lehrern oder Beamten aus guten Gründen für unverzichtbar gehalten wird. Ähnlich schwer zu vermitteln ist, warum Ehebrecher, Homosexuelle oder unter Druck der Stasi ausgereiste Pastoren zumindest zeitweise aus dem kirchlichen Dienst entfernt wurden, während eine Tätigkeit für das MfS wie eine Art notwendiges Übel betrachtet wird. Wenn Verfolgte den Pastor aufsuchten, weil man den Rechtsanwälten in der DDR nicht trauen konnte, dieser jedoch anschließend seinen Führungsoffizier unterrichtete, ist dies ein nicht wiedergutzumachender Bruch des Ordinationsgelübdes — also ein Entlassungsgrund.
Die Gründe, warum ausgerechnet eine moralbildende Institution wie die Kirche so reagiert, sind vielschichtig. Viele Kirchenfunktionäre haben zu DDR-Zeiten den Ausgleich mit dem Staat gesucht, manche auch als Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi. Der unbelastete Kirchenapparat blockiert eine Aufarbeitung, weil er glaubt, die Enthüllung der Stasi-Verstrickungen sei eine Art späte Rache des MfS und eine Hexenjagd profitsüchtiger Medien — er möchte die Angelegenheit intern klären. Die Westkirche schließlich tut so, als habe sie mit dem Ganzen nichts zu tun, obwohl bekannt ist, daß sich das MfS auch dort Opfer und Täter suchte.
Fatale Wirkung entfaltet jedoch vor allem ein geistiger Ansatz, den es in dieser Form nur im Protestantismus gibt: die Unfähigkeit, das Schlechte im Menschen, den offenen Konflikt und letztlich den Tod zu ertragen. Die Protestanten wollen den Frieden in die Welt tragen und suchen deshalb die Aussöhnung mit den feindichen Kräften. Darum ihr Hang zum Kompromiß und ihre Nachsicht gegenüber den sozialistischen Unterdrückern — sei es in der Stasi-Problematik oder, Anfang der achtziger Jahre, in der westdeutschen Friedensbewegung. Der Versuch, nach dem Motto „Versöhnt und Vergessen“ vor allem den eigenen Seelenhaushalt ins Gleichgewicht zu bringen, muß und wird aber bei der Stasi-Problematik scheitern. Hubertus Knabe