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„Komm-Post, Komm-Post“

Nach dem Bäuerchen wird in Ostdeutschland die Post ausgetragen  ■ Von Henning Pawel

Warum ist sie ausgerechnet gelb, die Bundespost, und nicht grün? Diese Farbe verhieße wenigstens noch Hoffnung auf Ankunft... Aber gelb?

Kürzlich in einer Warteschleife auf dem Erfurter Postamt die jähe Gewißheit, warum es nur die Eidotterfarbe sein kann. Damit wir als treue Kunden vorbereitet sind auf jenes furchtbare Leiden, welches Gelbsucht heißt und das man sich an den Hals ärgert, wenn etwas gar zu arg danebengeht. Und es geht zu arg daneben bei der Post im Osten. Sicher, endlos hat es gedauert, bis die Vereinigung kam. Zur ewigen Erinnerung daran nun der deutsche Einheitsbrief und das deutsche Einheitspaket, dessen Beförderungstempo wohl an die unendliche Zeit der Teilung erinnern soll.

Wenig Geschichtsbewußtsein freilich bei den Menschen. Die schimpfen wie die Rohrspatzen. So auch Gustav K., 84. Einladen wollte er die Erben zu Weihnachten 1990. Um ihnen erstmalig die Weihnachtsgratifikation in harter Währung zu verpassen und nach solcher Wohltat sie, die seit Jahren verfeindet sind, miteinander zu versöhnen.

Der Brief jedoch erreicht erst Rosenmontag 1991 jene Unversöhnlichen. Die giften sich erst einmal wieder untereinander, dann gemeinsam furchtbar über den so boshaften wie verrückten Alten. Der aber hat die undankbare Bande bereits Heiligabend 1990 feierlich enterbt. Weil sein Brief, schon im September abgesandt, ohne jede Antwort blieb. Und wer trägt an dieser Tragödie die Schuld? Allein die Bundespost.

Briefe, zwei Monate und länger unterwegs, sind keine Seltenheit. Das gleiche Drama bei den Paketen. Zweieinhalb Monate für ein Bücherpaket aus dem westfälischen Gütersloh. Von Lesern beim Autor dieses Artikels bestellt. Die Leser haben sich freilich längst anderweitig orientiert. Die Bücher aber sind gerade angekommen. 90 Exemplare des gleichen Titels. Ein Vierteljahr lang kann ich mir nun den Luxus leisten, allabendlich aus immer einem anderen Exemplar des gleichen, eigenen Buches zu lesen.

Ein wahrlich unbezahlbares Vergnügen. Weil natürlich niemand daran denkt, die Chose zu bezahlen, so wenig wie den riesigen Schaden, der da entsteht.

Mit Gebühren ist das gelbe Ungeheuer sehr viel schneller. Was ein Paket mittlerweile kostet, der schlankste Brief und das kürzeste Telegramm, ist bestens bekannt. Es ist höchste Zeit für ein neues Postmotto: Befördert eure Briefe selber, sonst ärgert ihr euch gelber.

Himmlisch auch die BriefträgerInnen. Die meine kommt mit Sicherheit. Doch wann sie kommt, steht in den Sternen. Vor dem Mittagsmahl jedenfalls nicht. Und wenn sie kommt, die gute Großmama, dann häufig mit dem Kinderwagen von Tochter Manuela, weil die sich „kwallefiziert in Warne Eickel“. Wogegen nichts einzuwenden ist. Aber halt gegen die Zeiten. Bei Hempels wird erst einmal gewindelt. In aller Ruhe. Bei Kühnlenz dann, haba, haba, duzi, duzi, gefüttert. Vor Endepols Häuschen das Bäuerchen herausgekitzelt und bei der Warnerin Gartentüre, im ungünstigen Fall, wegen zu viel Fett in der guten Westmilch, alles wieder herausgebracht. Und wohin? Aber bitte, auch früher schon wurden Briefe parfümiert. Wichtig ist nur, daß man die Dokumente getrocknet, noch leserlich, wenigstens zum Abendessen in der Hand hält.

Die Gevatterin unserer Post, namens Telekom, ist da wirklich sehr viel weiter. Eine Schrittmacherin im besten Sinn. Deshalb auch ständig ihr Ruf in Richtung der hinterherhatschenden Verwandten: „Komm- Post, Komm-Post“. Telekom jedenfalls hat schon wahre Wunder bewirkt. Sie ließ ganze Wälder wachsen. Mastenwälder. Über Nacht in vielen Straßen. Vor Toreinfahrten und Fenstern. Kilometerlange Strippen von Oberschenkelstärke. Sie bringen Kommunikation in die Häuser, aber nehmen jede Sicht. So mancher kann jetzt hören, aber nichts mehr sehen. „Eine vorübergehende Maßnahme“, lautet der Telekom- Trost. In spätestens fünf Jahren sind wir weg von den Straßen und unter der Erde. Die alten Leute, denen die Fenster verhängt wurden, freilich auch.

Unvergleichlich auch so manche Fernsprechrechnung. Trotz monatelanger Abwesenheit des Anschlußeigners eine Gebührenforderung von 700 Mark. Sofortiger Protest. Die nächste Rechnung beträgt schon 800 DM. Erneute demütige Bitte auf Überprüfung. Das Resultat: eine Rechnung von 960 DM. Nun die Explosion beim solcherart zur Kasse Gebetenen und die widerwillige Zusage auf Überprüfung. Erst nach weiteren zahllosen Mahnungen, nach neun Monaten, das Eingeständnis eigener Schuld der Fernsprechgebührenberechnungsstelle. Als Ersatz für etwa 1.500 DM überzahlter Gebühren werden großmütig 200 DM Gutschrift eingeräumt.

Ein Vorschlag, liebe Landsleute. Weihnachten kommt bestimmt. Ob auch eure Weihnachtspakete kommen, das ist freilich unbestimmt. Deshalb, für alle Fälle, neben den Weihnachtsmann aus Schokolade vorsorglich den Osterhasen aus Marzipan gepackt.

Nicht nur neue Köpfe braucht das Land. Auch neue Feste. Die Osterweihnacht kommt in Sicht. Du, Bundespost, machst sie möglich.

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