: „Da brütet kein Vogel mehr“
■ Vom Kampf der Papenburger ÖkologInnen gegen die Vertiefung der Ems
Schwarzer Schlick: eine Folge der Emsvertiefung
Der Damm ist gebrochen. Im Sommerdeich an der Ems westlich von Papenburg klafft ein meterbreites Loch. „Bei jeder Flut läuft da jetzt das Wasser rein. Da brütet kein Vogel mehr“, erklärt Günter Voskuhl von der „Naturschutzgruppe Unterems“. Voskuhl und seine MitstreiterInnen machen die Vertiefung der Ems für das Siechtum des Deichvorlandes mitverantwortlich. Die Baggerei im Emssand geht wesentlich auf das Konto der Meyer- Werft in Papenburg: Dort bauen 1.800 Beschäftigte tief im Binnenland Kreuzfahrtschiffe, die für den kleinen Fluß zu groß sind.
1983 war die Ems noch 4,80 Meter tief, heute wird schon auf 6,80 Meter ausgebaggert. Mit der zunehmenden Tiefe des Flusses aber fließt jede Flut der Nordsee mit größerer Kraft in die Ems hinein und kann die Sommerdeiche überspülen.
Hinter dem aufgerissenen Deich bei dem kleinen Emsdorf Vellage gammeln schwarzer Schlick und Brackwasser. Brauner Schilf und niedrige Büsche dominieren die Aussicht.
Der Ökologe läßt vom Winterdeich seinen Blick über die weite, flache Landschaft streifen. Zu seinen Füßen — zwischen dem hohen Winterdeich, den bisher keine Flut bezwungen hat, und dem niedrigen Sommerdeich, liegt das Deichvorland — insgesamt eine Fläche von über 500 Hektar. Jedes Jahr nimmt Voskuhl sich zwei Wochen Urlaub von seiner Arbeit als Gabelstapler-Fahrer im Papenburger Ha
hier bitte das
Schilf-Foto
fen, um den nordischen Gänsen und Schwänen, den Rotschenkeln und Uferschnepfen nachzuspüren. Seine Feststellung: „1990 und 1991 hat kein einziger Vogel im Naturschutzgebiet gebrütet.“
Eine halbe Stunde später, am östlichen, dem Papenburger Emsufer, hellt sich Voskuhls düstere Miene auf: Zwergschwäne! Vielleicht aus Sibirien! Die Schwäne brauchen die Emswiesen, um auf ihrer Flucht vor der Eiseskälte des nordischen Winters hier zu rasten. Die Umweltschutzgruppe befürchtet, daß es damit vorbei sein könnte, wenn die Bauern sich aus dem Deichvorland zurückziehen. Denn die Schwäne mögen Schilffelder und Büsche ganz und gar nicht.
„Da hinten sieht's besser aus“, Voskuhl deutet auf eine grüne Wiese neben der braunen Ödnis, „das wird von den Bauern noch bewirtschaftet.“ Auch die Fläche hinter dem gebrochenen Sommerdeich wurde bis vor zwei Jahren noch gemäht und Kühe grasten dort — bis die Landwirte die Nase voll hatten von den ständigen Überschwemmungen. Wenn eine trächtige Kuh stundenlang bis zum Bauch in kaltem Wasser steht, kann sie ihr Kalb verlieren.
Im Juli dieses Jahres klagten deshalb acht Landwirte vor dem Verwaltungsgericht gegen die geplante Emsvertiefung auf 6,80 Meter. Die Bauern zogen ihre Klage aber wieder zurück, als Bund und Land einwilligten, die überspülten Flächen aufzukaufen. 400 Hektar werden in den nächsten zwei Jahren in öffentlichen Besitz übergehen. Daraus soll als Ausgleichsmaßnahme für die Vertiefung ein Naturschutzgebiet angelegt werden. Im Gegenzug bekommen die Landwirte Flächen hinter dem Winterdeich — eine Lösung, mit der Specker- Dünhöft zufrieden ist.
Günter Voskuhl dagegen ist mit dieser Lösung überhaupt nicht zufrieden. Im Interesse der rastenden und brütenden Vögel müsse das Deichvorland, so meint er, von den Bauern weiterhin bewirtschaftet werden. Die weitere Nutzung sei allerdings nur dann möglich, wenn die Sommerdeiche erhöht würden. Voskuhl vermutet, daß dieser Punkt in den Verhandlungen zwischen Landwirten, Landkreis und Landesregierung keine Rolle spielte, weil die Erhöhung und Unterhaltung der Deiche für die öffentliche Hand teurer würde als der Aufkauf des Landes.
Von den Landwirten und der niedersächsischen Landesregierung fühlt Günter Voskuhl sich alleine gelassen, von den Beschäftigten der Meyer-Werft fühlt er sich geradezu bedroht. Eigentlich hatte Voskuhls Naturschutzgruppe für Anfang November eine Veranstaltung organisiert, bei der über die ökologische Situation an der Ems diskutiert werden sollte. Die ist aber kurzfristig abgesagt worden. Der Vorsitzende des Betriebsrats der Meyerwerft, Paul Bloem, hatte sich mit ein paar hundert Kollegen angesagt. Im Betriebsrats-Büro liegen noch die fertigen Plakate: „Die Werft ist groß, die Ems ist klein, drum müssen da die Bagger rein“ ist da zu lesen. Da haben die Ökologen Angst bekommen. „Wir wollten nicht die Sündenböcke sein“, so Voskuhl. „Wer gegen die Ems-Vertiefung ist, ist gegen die Arbeitsplätze, heißt es bei denen immer.“ Die Situation auf dem platten Land, wo jeder jeden kennt, und unter den Freunden sicher jemand ist, der auf der Werft arbeitet, wird umso brenzliger, je mehr sich der Konflikt um die weitere Vertiefung des Flusses zuspitzt.
Zu der Verschärfung der Auseinandersetzung hat ganz erheblich beigetragen, daß es am 1. November 1991 auf der Meyer-Werft gebrannt hat. Auf dem fünften Deck des fast fertiggestellten Kreuzfahrtschiffes „Zenith“ entstand ein Schaden in Millionenhöhe. Die Polizei geht mit großer Wahrscheinlichkeit von Brandstiftung aus.
Die örtliche Presse spekuliert schon mal, ob nicht die Naturschützer selbst Hand angelegt haben. Betriebsrats-Vorsitzender Bloem will von diesen Verdächtigungen aber nichts wissen. „Vielleicht war–s ein unzufriedener Arbeiter“, spekuliert er seinerseits.
Doch der Naturschützer Günter Voskuhl ist beinahe an dem Punkt angelangt, wo er sein Engagemant gegen die Ems-Vertiefung einstellen und sich „auf die Kartierung beschränken“ wird, wie er sagt. „Bevor ich Prügel kriege, höre ich lieber auf.“ Hannes Koch
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