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„Wertewandel“ bei Frauen - mehr Druck auf Männer

■ Untersuchung zu Einkommens- und Arbeitszeitentwicklung von Angestellten / Bremen wird „Angestelltenstadt“

Von wegen „gleichberechtigt“!aus dem Buch v. H. Stück

Der typische Bremer Angestellte ist — natürlich — männlich, arbeitet vollzeit und verdient 2.500 Mark netto. Die typische Bremer Angestellte arbeitet teilzeit und verdient entsprechend weniger. Geahnt hat man es schon immer, aber der Forschungsreferent der Bremer Angestelltenkammer, Heiner Stück, belegt diese Ahnung mit unumstößlichen statistischen Fakten. In Bremen arbeiten derzeit 135.000 gewerbliche Beschäftigte und 150.000 Angestellte. Deren Tendenz ist steigend. „Bremen ist auf dem Weg zur Angestelltenstadt“, so Stück gestern in der Angestelltenkammer, wo er seine Untersuchung vorstellte.

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28 Prozent der Angestellten arbeiten im öffentlichen oder im halböffentlichen (Beteiligungsgesellschaften) Dienst. Die Frauen stellen in der Sparte der Angestellten mit 52 Prozent bereits mehr als die Hälfte der Beschäftigten — Grund genug für den Geschäftsführer der Angestelltenkammer, Eberhard Fehrmann, dem weiblichen Part seiner Klientel bei der Auswertung von Stücks Untersuchung besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Stücks Tabellen über Einkommens- und Arbeitszeitverteilung zeigen deutlich, daß der Anteil von Frauen zunimmt, die sich nicht zwischen Beruf und Familie entscheiden wollen. Bei der

Frage nach gewünschten Beschäftigungskombinationen in Partnerschaften (möglich: beide Vollzeitarbeit; beide zwischen voller und halber Stelle; beide halbe Arbeitszeit; ein Partner volle, einer halbe Arbeitszeit; einer Vollzeitarbeit, eine(r) keine Arbeit) entschieden sich nur ein bis zwei Prozent der Frauen für den Alleinverdiener mit Hausfrau. Lediglich bei den Frauen über 50 waren es noch neun Prozent. 20 Prozent der Frauen unter 30 wünschen sich einen Vollzeitjob, 38 Prozent eine Zweidrittelstelle für beide Partner. Bei Frauen mit Kindern steigt die Präferenz für die Kombination „Mann mit Vollzeitstelle, Frau arbeitet halbtags“.

Trotz des verstärkten Engagements von Frauen im Beruf bleibt die Bezahlung hinter der von Männern zurück. Ein Vollzeit- Angestellter verdient durchschnittlich 2.550 Mark netto, eine Frau 1.650 Mark. Sogar bei gleicher Qualifikation und gleicher Funktion kommt Stück zu diesem Ergebnis:

Ein kaufmännischer Angestellter mit begrenztem Entscheidungsspielraum verdient 2.275 Mark netto, seine Kollegin in gleicher Funktion 1.675 Mark. Ein Angestellter mit Universitätsabschluß kassiert 3.300 Mark, die gleich qualifizierte Frau durchschnittlich 2.150 Mark. Lediglich im mittleren Einkommensbereich stellt Stück eine Angleichung der Gehälter von Männern und Frauen fest. Die Ursachen sieht auch er in den unterschiedlichen Biografien von Männern und Frauen, gekennzeichnet durch Kinderpausen und Teilzeitarbeit.

Doch das wird sich in Zukunft ändern, meint Kammer-Geschäftsführer Eberhard Fehrmann. Er entnimmt Heiner Stücks Untersuchung einen deutlichen „Wertewandel“: „Der Wunsch vieler Frauen nach Teilzeitarbeit markiert ein Übergangsstadium im Prozeß der Emanzipation. Die Frauen sind bereit, das als Kompromiß zu akzeptieren. Tendenziell gewinnt die Berufstätigkeit jedoch immer mehr Gewicht.“ Und das bedeutet Einiges an Umstellung, sieht Fehrmann voraus:

Junge Männer werden von ihren Frauen stärker in der Familienarbeit in die Pflicht genommen. Auch sie brauchen Teilzeitarbeit. Darauf müssen sich öffentliche und private Arbeitgeber einstellen.

Die Kinderbetreuung muß dringend ausgebaut werden. Wenn die öffentliche Hand dazu nicht in der Lage ist, müssen Betriebe die Initiative ergreifen und verstärkt betriebsnahe Kindergärten mitfinanzieren.

Die Gewerkschaften müssen die Arbeitszeitwünsche ihrer Mitglieder zur Kenntnis nehmen und mehr Bereitschaft zeigen, Tarifverträge über flexible Arbeitszeiten abzuschließen. asp

Die Untersuchung von Heiner Stück ist unter dem Titel „Die 'modernen Arbeitnehmer–. Einkommens-und Haushaltssituation der Angestellten — Das Beispiel Bremen“ im VSA-Verlag erschienen. Alle Mitgliedern erhalten es kostenlos von der Angestelltenkammer. Nicht-Mitglieder müssen es im Buchhandel erwerben.

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