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■ DIE BESTEN KELLNER DER STADTZerberus im Uterus

Unbekannte Gäste betreten das Lokal, sie stehen im Weg, sie werden unverzüglich rausgeekelt. Andreas ist bei der Arbeit. Zwei attraktive Schwestern kommen in Begleitung zweier Herren. »Habt ihr wieder jemand gefunden, der für euch bezahlt?« Die Herren sind pikiert, Andreas hat jedoch nur seine Pflicht getan. Ein Gast bestellt Fleischwurst — Das Gesicht des Kellners drückt höchstes Entsetzen und qualvolles Erstaunen aus, und später serviert er die Speise und fragt, ob Senf gewünscht sei, indem er dieses Würzmittel mit einem Gebrauchsstoff aus der Sexualpraxis benennt. Andreas ist eben im Dienstleistungswesen tätig, und er weiß, daß man in Deutschland lügt, wenn man höflich ist. Andreas lügt nicht.

Das ist tröstlich in einer Zeit, in der alles gleichgültig ist, es keine hierarchischen Ordnungen mehr gibt, nur noch Horizontale und Langeweile. Wie freut man sich, trifft man auf einen Mann, der sich dem Zeitgeist widersetzt und Ordnung schafft, wo sie sein muß: in der Kneipe.

Beim »Diener« in der Grolmannstraße geht es nicht um Basisdemokratie, sondern um die Kultur des Rausches, die ihre Rituale braucht: Lilo und Ralf üben die Priesteraufgaben im Hintergrund aus, Andreas ist der Schamane des Gastzimmers: widerspenstig, charmant, bösartig, nachtragend, gnädig und immer unangefochten Autorität. Die Kultur einer Nation bemißt sich danach, ob bestimmte Leitfiguren in der Lage sind, Zivilisation und Barbarei in einem erträglichen Gleichgewicht zu halten. Diese Balance herzustellen, ist stets die Aufgabe der Heroen gewesen in der Geschichte des Abendlandes.

Wer aber sind die Helden der Gegenwart?

Was ist überhaupt die Gegenwart? Sie ist kein Jammertal, sie ist kein Theater, sie ist nicht der neuzeitliche Austragungsort revolutionärer Masterturniere. Nachdem im Halbfinale der Kapitalismus den Kommunismus besiegt hat, verzichten wir aufs Endspiel und gehen ohne Zögern in die neue Epoche der Fremdheit des Menschen auf der Erde: Die Welt ist ein Gasthof, und auch die Fremdenzimmer reichen nicht für alle.

Die Kneipe also ist die Metapher der Jetztzeit. Ihr Held wird nicht gespielt von Robin Hood, Rosa Luxemburg oder Edith Clever — vorbei, vorbei! Der Kellner ist der Held der gegenwärtigen Welt.

Andreas arbeitet in der halbdunklen Schummrigkeit des »Diener«, in diesem Uterus der Behaglichkeit, in der mütterlichen Geborgenheit für vaterlose und heimatlose Gesellen und Gesellinnen. Sei's aus Verzweiflung, aus überraschender Zufriedenheit, sei's aus dem heiligen Drang, dem unstillbaren Durst auf Klatsch, Witz und Getränk — so kommen sie hierhergepilgert, und der Zerberus bellt die hinaus, die noch nicht reif sind für das Treffen mit der Ewigkeit. Andreas sorgt für mythische Ordnung, und immer verschwindet er, bevor's gemütlich wird. Matthias Beltz

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