: Hollywood meets BKA
■ Thorsten Kreissigs »Fun Tom of the Opera« ist noch dämlicher als das Original
Hin und wieder gibt es dieses Phänomen, daß ein einsam- begnadeter Mime mit sparsamen Mitteln und großer Wirkung einen ganzen Abend bestreitet. Und dabei nicht untergeht. Daß er mit einem winzigen Augenaufschlag Hundertschaften verschiedenster Charaktere auf die Bühne befördern kann. Bilder in den Himmel malt, Assoziationen schafft, Träume weckt. Ein Klack mit dem Hut — und vor dir steht Fred Astaire. Ein Dreh zur Seite und »Peter Pan« schwirrt durch den Raum. Hollywood meets BKA. Broadway rauf und Ku'damm runter. »Willkommen, bienvenue, welcome«. Im Kabarett. To Cabaret. Im BKA!
»Bühnenpräsenz« nennt man diesen Zaubertrick, und wenn einer die hat, dann ist er schon ein ganz großer. Thorsten Kreissig hat sie leider nicht, und das ist vor allem für ihn sehr traurig. Denn eigentlich wäre er ein recht hübscher Fred Astaire, und tanzen kann er auch. Trotzdem ist sein Funtom of the Opera so erhellend wie das »Handbuch des deutschen Musicals«. Eben vollständig, aber auch vollständig dröge.
Mit der ambitionierten Drohung »Let's entertain you« begrüßt er das erwartungsfrohe Publikum. Da hat seine Pianistin Frau Brückner schon eine Ouvertüre im Potpourri-Stil des RIAS-Tanzorchesters hingelegt, und meinem Nachbar schwant bereits Zähes. Dummerweise sieht der schmächtige Hannoveraner Kreissig in seinem aalglatten Kostüm auch noch aus wie Joel Gray. Das weckt natürlich Erwartungen, und entsprechend groß ist die Enttäuschung, als er es dann doch nicht ist.
An diesem Über-Vorbild »Cabaret« ist ja seinerzeit schon Helmut Baumann im Theater des Westens gescheitert, aber das Funtömchen Kreissig treibt es noch bunter. Gleich die gesamte Ahnentafel großen Entertainments hat er sich vorgenommen. Vom Phantom bis Cats, von Hello Dolly bis zum Little Shop of Horror steppt er sich singend und tanzend durch die verregneten Gassen amerikanischer Musicals. Dabei bleibt Kreissig aber immer Kreissig und Judy Garland gelangweilt im Hollywood-Himmel.
Und doch wäre das alles ja noch erträglich gewesen, denn immerhin versteht sich der ausgebildete Tänzer und Choreograph vorzüglich aufs Hüpfen und Steppen. Aber mit diesem klassischen Kunsthandwerk mag es der junge Mann offensichtlich nicht bewenden lassen und springt — hätte er doch wenigstens das gelassen! — in die originelle Rolle eines tuntig-verklemmten Volkshochschullehrers. »Einige von Ihnen sind vermutlich der irrigen Annahme, sie seien auf einem Theaterabend. Das ist nicht der Fall«, belehrt er uns erst jetzt, nachdem alle bereits unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gelöhnt hatten.
Aber wenigstens weiß es nun auch die bekiffte Hausclaque in den hinteren Reihen: Nix mit Vergnügen, jetzt ist Bildung angesagt. Der Oberlehrer verteilt Stift und Papier, Frau Brückner geht schon mal in die Schleife (dann spielt sie immer etwas holprig das gleiche), und nun wird uns noch einmal gezeigt, was wir woanders schon mal besser erlebt haben. Und weil ja jetzt alle brave Volkshochschüler sind, müssen wir uns natürlich auch rege am Unterricht beteiligen. Müssen schnipsen und klatschen, singen und winken. Das alles im »All that Jazz«-Rhythmus. Und auf und nieder. Da lacht mein Kritikerherz und das Publikum johlt. »Der macht uns alle zum Affen!« bemerkt eine Dame an den vorderen Tischchen. »Ja, schöööön, nicht!« raunt es weinselig zurück. Weil alle so hübsch mitgemacht haben, gibt uns Frau Brückner gewissermaßen als Belohnung Memories und haut ein ums andere Mal wohltemperiert in die falschen Tasten. Das ist Komik vom Feinsten, nur daß es Hans Liberg im hauseigenen Zelt an der Philharmonie eben viel besser kann. »Send me a clown« schmankerlt der Volkshochschullehrer, pustet kräftig in die Klarinette und verabschiedet sich — spät, aber dennoch! — nach den langen zwei Stunden endlich von der Chorus- Line. Hin und wieder gibt es eben auch dieses Phänomen, daß ein einsam-begnadeter Mime mit sparsamen Mitteln und wenig Wirkung einen ganzen Abend bestreitet. Und dabei untergeht. Gluck, gluck. Weg war er! Klaudia Brunst
Funtom of the Opera noch bis zum 2. Dezember, do.-mo., um 20.30 Uhr im BKA, Mehringdamm 34.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen