: Öl ins Feuer der Debatte
■ Kein Tag, an dem nicht irgendeineR für oder gegen die Abtreibungspille Position bezieht. Die Bewegung der BefürworterInnen wird größer, doch die Hoechst AG, Mehrheitseignerin der französischen Herstellerfirma...
Öl ins Feuer der Debatte Kein Tag, an dem nicht irgendeineR für oder gegen die Abtreibungspille Position bezieht. Die Bewegung der BefürworterInnen wird größer, doch die Hoechst AG, Mehrheitseignerin der französischen Herstellerfirma, weigert sich bisher, RU486 hier auf den Markt zu bringen. Pillen-GegnerInnen drohen mit einem Boykott. Letztlich geht es bei der Diskussion nicht um eine ethische oder medizinische Bewertung, sondern um die Standortbestimmung der Pille in der Abtreibungsdebatte.
VON ULRIKE HELWERTH
Alle reden von der Pille. Wir nicht. Wir verschaffen sie Ihnen!“ Mit solchen Sprüchen warb die Pharmaindustrie einst um ein neues, heiß umstrittenes Hormonpräparat — die „Antibaby-Pille“.
Heute, 30 Jahre später, ist wieder ein Wundermittel in aller Munde: die „Abtreibungspille“ RU486, Handelsname: Mifepriston. Entscheidender Unterschied zu den 60er Jahren: der französischen Herstellerin dieser Pille, die Firma Roussel Uclaf, Tochterfirma der Hoechst AG, ist derzeit wenig daran gelegen, ihr Produkt auf den deutschen Markt zu bringen. Vor wenigen Tagen erst bekräftigte der Hoechst-Vorstandsvorsitzende Wolfgang Hilger, daß Roussel Uclaf keinen Zulassungsantrag in Deutschland für die Pille stellen werde — zumindest, solange die Abtreibungsfrage nicht eindeutig rechtlich geregelt sei. „Alles andere hieße nur, Öl ins Feuer der hitzigen Diskussion zu gießen.“ Schließlich berühre diese Diskussion „Grundnormen unserer Gesellschaft“, es gehe um nichts weniger als „Leben oder Tod“. Ein Wirtschaftsunternehmen wie Hoechst dürfe in diesen schwierigen ethischen Fragen aus sich heraus keine Stellung beziehen. „Wir sind da überfordert“, so Hilger. Kurz: der Pharmariese wartet auf einen Persilschein aus Bonn. Der könnte demnächst auch erteilt werden, denn die Kreise derjenigen, die sich für RU486 auch in Deutschland stark machen, sind deutlich gewachsen, und vor allem: lauter geworden. So forderte Ende Oktober die Konferenz der GesundheitsministerInnen und -senatorInnen der Länder, auf Initiative der hessischen Gesundheitsministerin Iris Blaul (Grüne) von Hoechst, sich um die Zulassung von Mifepriston in Deutschland zu bemühen. Angesichts des nahen EG- Binnenmarktes macht es auch keinen Sinn, daß die Pille, in Frankreich seit 1988 und in Großbritannien seit einigen Monaten zugelassen, in Schweden, Dänemark und der Schweiz inzwischen getestet, hier den Frauen weiter vorenthalten werden soll.
Hoechst aber ziert sich weiter — ein in der Geschichte der Pharmaindustrie bisher einmaliger Vorgang. Die vornehme Zurückhaltung entspringt allerdings weniger moralischen als viel mehr monetären Gründen. Denn die Lobby gegen die „Todespille“ ist mächtig. International haben die katholische Kirche und andere AbtreibungsgegnerInnen der RU486 von Anfang an den Kampf angesagt.
So beantragte Roussel Uclaf beim französischen Gesundheitsministerium schon 1988 die Zulassung der Pille, erhielt sie auch, zog aber bereits einen Monat später das Präparat wieder zurück, erschreckt über die heftigen Proteste französischer Bischöfe, über Demonstrationen und gar Bombendrohungen von seiten radikaler AbtreibungsgegnerInnen. Druck machten aber auch die Frauen, so daß der französische Gesundheitsminister Claude Evin die Firma Roussel Uclaf zwang, auf dem Markt zu bleiben.
In Österreich kam es 1990 vor den Parlamentswahlen zu einer Machtprobe. Gesundheitsminister Harald Ettl hatte einer Klinik die Einfuhr- und Anwendungserlaubnis für RU486 erteilt. Prompt machte die katholische Kirche Druck: Man werde bei den Wahlen auf die Streichung von Politikern drängen, die die Zulassung der RU486 möglich gemacht hätten, verkündete Pater Laun vom Katholischen Familienverband Österreichs. Hoechst weigerte sich daraufhin, die Pille „einzelnen Kliniken“ auszuliefern. Minister Ettl fand das unerhört: „Kein Konzern kann glauben, er könne eine Republik erpressen. Das wird auf ihn zurückfallen“, drohte er. Doch RU486 gibt es bis heute nicht in Österreich.
In den USA und in Deutschland drohen AbtreibungsgegnerInnen der Pharmafirma mit einem Total-Boykott, sollte Hoechst es wagen, für RU486 die Zulassung zu beantragen. Aber wäre inzwischen nicht auch das umgekehrte Szenario denkbar? Die BefürworterInnen der Abtreibungspille drohen Hoechst mit einem umfassenden Boykott für den Fall, daß sich das Unternehmen weiterhin weigert, RU486 in Deutschland zuzulassen? Denn die Bewegung wächst. Auch wenn die katholische Kirche noch so wettert, daß durch das neue Mittel die Tötung menschlichen Lebens verharmlost und zum Teil bagatellisiert werde — wie etwa der Mainzer Bischof Karl Lehmann vor ein paar Wochen. Das Spektrum der RU486-Fans hat sich deutlich erweitert. Da ist zum einen eine große Mehrheit von ÄrztInnen, die die Pille als großen medizinischen Fortschritt preisen, weil sie „sanfter“ und mit weniger Komplikationen verbunden sei als eine chirurgische Abtreibungsmethode. Es sei daher eine „ethische Pflicht“, dieses Präparat einzuführen, so der Vorsitzende des Verbandes der „Niedergelassenen Ärzte in Deutschland“ (NAV), Erwin Hirschmann jüngst. Mit ähnlichen Argumenten verlangt auch „Pro Familia“ schon seit Jahren die Zulassung der RU486. In den medizin-kritischen Kreisen der Paragraph-218- GegnerInnen oder der Frauengesundheitszentren wird die Euphorie über das neue Hormonmittel zwar nicht geteilt. Gewarnt wird vor Kontraindikationen, unbekannten Langzeitfolgen, der unkritischen Popagierung der RU486 als Massenabtreibungsmittel für die Dritte Welt. Aber letztlich heißt es auch dort: Frauen müssen zwischen verschiedenen Abtreibungsmitteln frei entscheiden können, die RU486 ist durchaus eine Option. Diese Meinung teilen nicht nur SozialdemokratInnen und Liberale, sie ist mittlerweile auch tief in die CDU, ja selbst in die CSU vorgedrungen. Bundesfrauenministerin Angela Merkel (CDU) und Bundesfamilienministerin Hannelore Rönsch (CDU) sind für die Erprobung, Heiner Geißler (CDU), stellvertretender Bundestagsfraktionsvorsitzender, gar für eine „rasche Zulassung“. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) hält es für „unrealistisch“, daß sich die BRD „völlig gegen dieses Produkt stellen kann“, und Bundesgesundheitsministerin Gerda Hasselfeldt (CSU) will die letzte sein, „die sich gegen die Einführung der Pille stellt“.
Die Einführung der RU486 in Deutschland ist also nur noch eine Frage der Zeit. Viel interessanter aber ist die Frage: Zu welchen Konditionen? Und darüber gehen die Meinungen so weit auseinander, wie derzeit zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs.
Die Brisanz von RU486 liegt tatsächlich darin, daß sie theoretisch den Paragraphen 218 unterlaufen kann. Das Strafgesetzbuch der Bundesrepublik enthält schließlich neben dem heißdiskutierten 218 auch den Paragraphen 219d, und der garantiert für die ersten zwei Wochen nach Beginn einer Schwangerschaft Straffreiheit, also so lange, bis der Einnistungsprozeß des befruchteten Eis in der Gebärmutter abgeschlossen ist. Mit Hilfe moderner Tests, die schon am zehnten Tag nach der Befruchtung sicher anzeigen, ob eine Schwangerschaft vorliegt oder nicht, ließe sich diese Phase für einen Abbruch nutzen. Mit gutem Erfolg sogar, wie mehrere Studien an der Universitätsfrauenklinik Greifswald zu DDR-Zeiten ergaben (siehe Kasten). Einige ÄrztInnen propagieren die RU486 daher auch offen als eine „Pille danach“. So schreibt die Berliner Gynäkologin Gabriele Halder, Mitarbeiterin bei „Pro Familia“, in der 'Münchener Medizinischen Wochenschrift‘ (133/1991): „Es braucht gar nicht erst zu einer Implantation kommen, wenn es [RU486] als ,Once a Month Pill‘ eingesetzt wird.“ Vor dem Hintergrund eines funktionierenden medizinischen Versorgungssystems gebe die Pille „den Frauen die Möglichkeit an die Hand, ihre Fruchtbarkeit selbst zu regeln“, so Gabriele Halder. RU486 mache die Frauen irgendwann ganz unabhängig von ärztlicher Kontrolle, vertreten andere Ärzte, wie der NAV-Vorsitzende Erwin Hirschmann. Nach seiner „persönlichen Meinung“ wird durch die Abtreibungspille der Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch „der Boden entzogen“, da es künftig keiner ärztlichen Hilfe mehr bedürfe und so die Entscheidung über einen Abbruch „auf Dauer“ in die Verantwortung der Frau übergehe.
Die Vorstellung, in der Apotheke einfach wie Aspirin, einen Satz RU486 zu kaufen und dann zu Hause, ganz autonom, vor aber auch nach der Einnistung der Eizelle, einen Abbruch zu praktizieren, hat durchaus etwas für Frauen, die abtreiben wollen oder müssen. Und natürlich ist sie Wasser auf die Mühlen der „LebensschützerInnen“. Erst gestern wieder warnte einer, dieses Mal der Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar davor, mittels der Pille die gesetzliche Regelung zum Schwangerschaftsabbruch zu umgehen. Abtreibung bleibe Abtreibung, der Unterschied sei der, „ob man jemanden vergiftet oder auf andere Weise umbringt“. Daher ist diese Vorstellung, beim aktuellen politischen Kräfteverhältnis, völlig utopisch. Im Zusammenhang mit dem Gerangel um ein neues Abtreibungsgesetz müßte also auch um die Konditionen für RU486 hart gekämpft werden. Zumindest dafür, daß — nach Zulassung der Pille in Deutschland — jede Ärztin und jeder Arzt im Rahmen der geltenden „Therapiefreiheit“ das Präparat verschreiben darf. Realistischerweise aber wird das Bundesgesundheitsamt, im Einvernehmen mit Roussel Uclaf, eine „beschränkte Zulassung“ aussprechen, etwa nach französischem Vorbild. Dort darf die Abtreibungspille nur in Spezialkliniken und unter strengen Auflagen verwendet werden.
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