: Vergebliche Hilferufe
■ Ein rassistischer Überfall und die Nöten einer Iranerin, einen Krankenwagen zu bestellen
Die Nacht vom 17. zum 18. November hat gerade begonnen. Y.A., ein iranischer Student, der aufgrund der politischen Lage seines Heimatlandes nach Deutschland geflohen ist, beendet seine Schicht in einem Schnellrestaurant in der Innenstadt. Nach einem Besuch der Diskothek „Stubu“ wird er auf dem Nachhauseweg hinterrücks von deutschen Männern überfallen und so mißhandelt, daß er sich bis heute nicht an die Angreifer zu erinnern vermag.
Ein englischer Passant entdeckt in jener Nacht gegen 2.30 Uhr den Verletzten, der sehr stark im Mundbereich blutet, und befördert ihn mit einer Taxe nach Hause. Die Ehefrau des Studenten, ebenfalls Studentin und Iranerin, ist außer sich vor Angst und ruft sofort weinend den Notruf 110 an. Sie will einen Krankenwagen kommen lassen — und damit beginnt das eigentliche Trauerspiel:
Das Wählen der polizeilichen Notruf-Nummer 110 endet für sie erfolglos, da ihr der Diensthabende erwidert, er wäre nicht zuständig und auflegt. Die Iranerin wählt daraufhin die Notrufnummer der Feuerwehr, die 112. Die Feuerwehrzentrale verweist sie weiter an den zahnärztlichen Notdienst.
Notdienst hat in jener Nacht der Zahnarzt Dr. Lohmann. Er erklärt ihr, wegen so einem Fall mache er keinen Hausbesuch. Sie könne aber mit dem Verletzten zu ihm kommen oder sich an ein Krankenhaus wenden. Die verzweifelte Iranerin versucht es weiter. In der Notzentrale Wachmannstraße wimmelt man sie ebenfalls ab: „Das ist nicht der einzige Unfall auf der Welt.“
Nachdem sie noch ein paar Stellen erfolglos um einen Krankenwagen bittet, transportiert sie ihren Ehemann schließlich mit einem Taxi in das St.-Jürgen-Krankenhaus. Dort wird sie ganz erstaunt gefragt, wie sie denn nur auf die Idee gekommen sei, einen derart stark verletzten Menschen mit einer Taxe zu befördern.
Der von seinen Nachbarn als angenehmer und friedliebender Mensch bezeichnete Student A.Y. muß sich einer vier Stunden langen Operation unterziehen: Gehirnerschütterung, Kieferbruch, Zahnfleischrisse, Verlust von zwei Zähnen und Zersplitterung seiner Wangenknochen — ihm werden im Wangenbereich Eisenplatten eingesetzt.
Warum aber sind trotz dieser Verletzungen die telefonischen Hilferufe seiner Ehefrau erfolglos geblieben? Ein Polizeiprecher erklärte gegenüber der taz, dieser Fall sei für ihn nicht nachvollziehbar und werde nun untersucht. In der Notrufzentrale der Feuerwehr erklärten die Verantwortlichen, die Anruferin habe lediglich über das Zahnfleischbluten ihres Mannes geklagt, aber keinen Notfall deutlich gemacht. Der iranischen Ehefrau hingegen erscheint es merkwürdig, daß jene Personen durch ihr Schreien und Weinen nicht gemerkt haben wollen, daß es sich um einen dringenden Notfall gehandelt hat: „Um drei Uhr nachts mache ich doch keine Scherze.“
Zahnarzt Dr. Lohmann rechtfertigt sein Verhalten so: Frau A. habe nur mitgeteilt, ihr Mann sei gestürzt und leide unter Zahnfleischbluten. Und sie sei nicht bereit gewesen, den Verletzten in seine Praxis zu bringen. Außerdem habe er sich gedacht, es handele sich um eine Prügelei unter hitzigen Südländern, und deren Mentalität sei ihm von seinen häufigen Aufenthalten in Sizilien bestens bekannt.
Das iranisch-studentische Ehepaar A. wohnt im Stadtteil Blockdiek — in einem Haus, in dem Angriffe auf Ausländer fast schon zum Alltag gehören. Einer türkischen Nachbarsfamilie wurde die Haustür angezündet. Als sogenannte „Ami-Hure“ wird eine deutsche Frau bezeichnet, welche mit einem farbigen Amerikaner verheiratet ist. „Ausländer raus, sonst brennt das ganze Haus“, heißt es auf Zetteln, die die Mieter in ihren Postkästen finden. Cemile Tamboga
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