: Schwarze Socken im Nobelhotel
■ Der US-Amerikaner Sang Lee gewann das Berliner Weltcup-Turnier im Billard
Charlottenburg. Das Dreibandbillard, bei dem sich »Können, Kunst und Karambolage« (Eberhard Diepgen) paaren, ist ganz entschieden keine Kneipen-, sondern eine Hotelsportart. Schon die »Kleiderordnung« des Billardverbandes nimmt Rücksicht auf das Geschmacksempfinden des Publikums, und neben der Oberbekleidung ist man sich nicht zu schade, Kleinigkeiten wie die Sockenfragen zu regeln: »schwarze Strümpfe«. Dergestalt korrekt gewandet, traten die besten Ballkünstler im Hotel Kempinski an, rote, weiße und gelbe Kugeln aneinanderzutitschen. In exlusiver Atmosphäre, versteht sich. Kristallüster hingen über den Häuptern der Spieler, angenehme Hintergrundmusik schuf eine entspannte Atmosphäre. Am blauen Billardtisch gab Raymond Ceulemans, die 54jährige belgische Billardlegende, Kostproben seines Könnens. Schon am Freitag hatte er den Doktor der Wirtschaft aus Italien, Marco Zanetti, glatt abgebügelt, im Halbfinale sollte es dem Franzosen Richard Bitalis nicht besser ergehen.
Die Leistung der Billarder läßt sich allein schon an den Publikumsreaktionen ermessen. Je lauter es »mmmmh« macht, in dieser Sportart frenetischem Jubel gleichzusetzen, desto mehr Punkte gibt es. Das anfänglich begeisterte »mmmmh«, dem ein bedauerndes »oooh« folgt, bedeutet nur, daß der Ball die Kugel verpaßt hat. Die Spieler können die Qualität ihres Stoßes schon nach Sekundenbruchteilen erkennen. Während das Publikum, noch in der »mmmh«-Phase hofft, haben sie dem Tisch und den gemeinen Unglückskugeln schon lange resigniert den Rücken gekehrt.
Die einzigen, die die Stille unterbrachen, waren die belgischen Journalisten, »Godverdomme«, aber ihnen wurde nachsichtig vergeben, hatte Ceulemans doch die Chance, als erster Mensch im Weltcup überhaupt, seine 15 Punkte schon im ersten Durchgang einzufahren. Daß dies nicht klappte, ärgerte den Weltranglistenzweiten so, daß er in Boris-Becker-Manier immer wieder fassungslos wiederholte: »Das gibt's doch nicht, das darf doch nicht wahr sein.«
Noch mehr Grund zum Hader mit sich selbst hatte Altmeister Ceulemans dann im Finale. Dort unterlag er dem US-Bürger Sang Lee deutlich mit 6:15, 12:15, 15:10, 9:15. Godverdomme! Elke Wittich
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