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Da kommen wieder die Busse aus Polen

■ Im Volksmund sind die Polinnen hübsch und die polnischen Männer ritterlich/ Die aber, die um sechs Uhr früh in den Bussen gekommen sind, scheinen weder hübsch noch ritterlich, sondern eher plebejisch und müde/ Die Frauen waschen sich mit dem Morgentau die Hände

Berlin. Da kommen wieder die Busse aus Polen und parken überall herum, unter der S-Bahn-Brücke und auf Nebenstraßen. Vor Aldi stehen wieder die Einkaufswagen voll von Margarine-, Öl- und Nutella-Pakkungen. Von weitem sieht es so aus, als ob sich hier welche verbarrikadiert hätten, oder zumindest scheint es mir so; ich bin aber kurzsichtig und zugleich ein bißchen zerstreut, mir scheint die ganze Welt immer komplizierter, als sie in der Tat ist. Immerhin, da kommen wieder die Busse aus Polen und parken überall herum.

Im Volksmund sind die Polinnen hübsch und die polnischen Männer ritterlich. Die aber, die in den Bussen gekommen sind, scheinen weder hübsch noch ritterlich, plebejisch und müde eher. Die Frauen sind breit und sehr großzügig ausgelegt, die Männer eher dünn, mager, fast asketisch. Alle sehen genauso wie Polen aus: in Jeansjacken (beide Geschlechter) und Jeanshosen oder Jeansröcken. Männer tragen Bärte und Schnurrbärte, Frauen haben dauergewellte blonde Ponys, mit vielen farbigen Kunststoffdingen verziert. Im Gegensatz zu den Ossis tragen die Polen nicht die geblümten Einkaufstaschen, sondern große, geräumige, quadratisch wirkende Reisetaschen aus weiß-rot-blau gestreiftem Plastik.

Morgens kommen die Busse an. Parken auf einer ruhigen Nebenstraße. Die Stadt schläft noch — so kann man denken, betrachtet man Berlin aus der Sicht einer Nebenstraße in der City. Tatsächlich treiben schon Tausende und Abertausende fort, die Frühaufsteher, die um sechs, halb sieben, spätestens um sieben Uhr bei Siemens, Borsig, BMW, Mercedes, Osram, AEG, Schering, Sarotti, Marlboro die Stechuhr betätigen müssen. Die Malocher, Frühschichtler, sprich: Ausländer, nun nicht nur Polen, oder vor allem nicht Polen — Griechen, Türken selbstverständlich, Jugoslawen. Von Jugoslawen erzählt man jetzt, daß sie wegen des Bürgerkriegs in ihrer Heimat entweder nach Jugoslawien abgehauen sind oder sich gegenseitig krankenhausreif prügeln. Bei Siemens, Borsig, AEG klagen schon die Manager, daß ihnen die Arbeitskräfte fehlen, weil die Jugoslawen nach Jugoslawien ... und so weiter. Alle Schwarzhaarigen (mit den Schwarzhäutigen nicht zu verwechseln) kommen in die Fabriken mit der U-Bahn, auf den Straßen in der City sind sie weder zu Fuß noch im Auto zu sehen. Deshalb kann man hier, auf der ruhigen Nebenstraße in der City um sechs Uhr früh, den Eindruck gewinnen, die Stadt schlafe noch, die Nebenstraßen den Polen überlassend, die in Jeansjacken, mit blau- weiß- und so weiter aus den Bussen aussteigen.

Die Läden sind noch zu, man muß sich aber beeilen, um sich einen günstigen Platz in der Schlange vor Aldi zu beschaffen: Die Männer haben's einfacher, die brauchen gewöhnlich nur ein kleines Pinkeln, stehend hinter einem Straßenbaum, und sind bereit. Frauen haben es immer schwerer — diese ewige Frage, was besser ist: stehend pinkeln oder die Kinder gebären — muß wieder zugunsten des Stehendpinkelns beantwortet werden. Frauen suchen sich also einen kleinen Unterschlupf, hinter den Büschen auf dem S-Bahn-Graben etwa. Er ist ein bißchen erhoben, mit kleinen Bäumchen und Gebüsch bewachsen, wirkt ruhig, wie geschaffen für den pragmatischen Zweck der Frühankömmlinge, die es doch nicht wissen können, daß an der anderen Gleisseite eine öffentliche Toilette zur Verfügung steht.

Der Morgentau liegt noch auf dem Gras. Die Polinnen klettern ein kleines Hügelchen des S-Bahn-Gleises hinauf — immer zu zweit, zu dritt, allein fühlt sich frau in solcher Situation unangenehm —, nach ein paar Minuten kehren sie zurück, ab zum Gras, um im Morgentau ihre Hände zu waschen. Seit zwei Tagen habe ich kein warmes Wasser zu Hause und bin damit natürlich unzufrieden.

Seit zehn Jahren (oder sind es schon mehr?) beschäftige ich mich mit der sogenannten Frauenfrage in Polen. Hätte ich gewußt, daß sich die Frauen die Hände im Morgentau auf dem Gras waschen, wenn ich es nicht zufällig gesehen hätte?

Was weiß ich also von den Polinnen, was versuche ich den Ausländern, den Deutschen, den Fremden zu vermitteln, von Polinnen, von uns, wenn ich so was nicht wußte?

Baff stehe ich da und gucke mir das an. Man benutzt gewöhnlich die Feuchties für solche Zwecke. Und es gibt doch auch Papierhandtücher und elektrische Händetrockner in den Toiletten!

Wie die Vögel. Als ob sie nicht in der Mitte einer Weltmetropole, sondern im Dschungel gelandet sind, wo man sich auf eigene Faust mit allen alltäglichen Problemen auseinandersetzen muß, weil von außen keine Hilfe zu erwarten ist. Selbstverständlichkeit dieser Gestik: ihre autarke, genügsame Banalität des Nicht-mal-Überlegens, sondern Handelns. Immerhin wuschen sich die Frauen ihre Hände, und die Männer pinkelten stehend.

Für eine internationale Frauenkonferenz versuche ich aus meinen allgemeinen Kenntnissen der Frauenfrage in Polen ein Referat zu basteln, das eventuell als eine autarke Antwort auf die brennende Frage dienen soll: Weshalb sind die Polinnen, sogar die intelligentesten und am besten ausgebildeten, diejenigen, die schon viel, auch in der Welt, gesehen haben, weshalb sind sie in puncto Frauenproblematik so hoffnungslos konservativ und unemanzipiert? Eva Slaska

Die Autorin stammt aus Polen und lebt als Journalistin, Schriftstellerin und Beraterin in einem Flüchtlingsheim in Berlin.

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