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Vor jede Haustür eine Haltestelle-betr.: "Der Konkurrent der Tram heißt Auto" (Erste Verkehrswerkstatt mit lustloser Diskussion zur Bahnpolitik), taz vom 11.11.91

betr.: »Der Konkurrent der Tram heißt Auto« (Erste Verkehrswerkstatt mit lustloser Diskussion zur Bahnpolitik), taz vom 11.11.91

Obwohl in Städten mit über einer Million EinwohnerInnen noch immer 44 Prozent aller Wege zu Fuß zurückgelegt werden — und Berlin hat immerhin 3,4 Millionen EinwohnerInnen — hielt es der Verkehrssenator, Prof.Herwig Haase, weder für nötig, einen Vertreter des Fußgängerschutzvereins zu der Verkehrswerkstatt einzuladen, noch die FußgängerInnen als VerkehrsteilnehmerInnen in seiner Einleitungsrede auch nur zu erwähnen. Lediglich die RadfahrerInnen wurden von ihm genannt, aber auch das nur, weil er sonst Schelte von der Presse oder dem ADFC erwartete. Es ist bezeichnend für die Verkehrssituation und -politik in unserer Stadt, daß unter Verkehr (der hier fließen muß!) nur der motorisierte Individualverkehr, der ÖPNV und der Wirtschaftsverkehr verstanden wird, und die ursprünglichste Form der Fortbewegung — das Zufußgehen — nicht, und die nächst umweltgerechteste — das Radfahren — nur am Rande erwähnt wird. Genau dorthin, nämlich an den Rand, wurden FußgängerInnen und RadfahrerInnen durch die Verkehrsplanung und -politik der letzten Jahrzehnte gedrängt.

Und im Zuge der fortschreitenden Motorisierung und des zunehmenden Verteilungskampfes um den Straßenraum wird den FußgängerInnen immer mehr des ihnen noch verbliebenen Raumes genommen (durch legales und ordnungswidriges Gehwegparken, Radwege auf Gehwegen und anderes).

Zufußgehen soll offensichtlich noch unattraktiver gemacht werden, damit auch kleinste Wege mit dem Rad, dem Auto oder Bussen und Bahnen zurückgelegt werden müssen. Damit hätten die VerkehrspolitikerInnen dann das prognostizierte höhere Verkehrsaufkommen (auch hier ist immer nur vom motorisierten Individualverkehr, dem ÖPNV und dem Wirtschaftsverkehr die Rede!) noch schneller herbeigeführt. Und die Gehwege könnten gänzlich als Parkstreifen, Ausweichfahrbahn bei Stau und Abstellplatz für Müllcontainer, Verkehrsschilder, Baumaterial und ähnliches genutzt werden.

Daß auch Kinder und alte oder behinderte Menschen es noch wagen, am Verkehr teilnehmen zu wollen, und dabei nicht das Auto benutzen können, ist nicht weiter tragisch zu sehen. Wie wurde doch bei der Verkehrswerkstatt dazu bemerkt? Aber den ÖPNV! Da brauchen wir dann nur noch vor jeder Haustür eine Haltestelle für behinderten- und kinderwagengerechte Busse mit etwa 1,50 Meter breiten Zugehwegen. Elif Jantzen, Berlin 19

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