: Auf dem Weg zu Mitte-Rechts
■ Die erste Sitzung des polnischen Sejm als Lektion für den Präsidenten Lech Walesa
Auf dem Weg zu Mitte-Rechts Die erste Sitzung des polnischen Sejm als Lektion für den Präsidenten Lech Walesa
Polen ist der Bildung einer mehrheitsfähigen Regierung einen wichtigen Schritt nähergekommen. Zwar steht die Koalition aus fünf rechtsgerichteten Parteien schon seit Wochen, doch hat sich Präsident Walesa, der den Premier formell mit der Regierungsbildung beauftragen muß, bisher strikt geweigert, Jan Olszewski, den Kandidaten der fünf, zu ernennen. Olszewski, so heißt es, sei dem Präsidenten zu radikal. Walesa hatte gehofft, trotz des eindeutigen Wählervotums gegen die bisherige politische Linie bei den ersten freien Nachkriegswahlen am 27. Oktober, das Reformprogramm mit nur kleinen Änderungen weiterverfolgen zu können. Die Abstimmung bei der ersten Sitzung des nunmehr völlig frei und demokratisch gewählten Sejm muß ihn eines besseren belehrt haben.
Bisher hatte die Fünferkoalition nur eine relative, wenn auch große Mehrheit im Parlament hinter sich. Für die Regierungsbildung benötigt sie 231 Abgeordnete, für die notwendigen Verfassungsänderungen eine Zweidrittelmehrheit. Die Wahl des Sejmmarschalls sollte da eine Art Generalprobe werden. Die Rechnung ging auf: Wieslaw Chrzanowski, Parteichef der „Christlich-Nationalen Vereinigung“ und bisheriger Justizminister, erhielt eine bequeme Mehrheit von 267 Stimmen. Zumindest also nach der Wahlarithmetik sind die fünf regierungsfähig.
Das Signal dürfte bei Walesa, der erstmals von Anfang bis Ende anwesend war, angekommen sein. Das eindeutige Ergebnis für den Kandidaten der Rechten kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die fünf außer in personellen Fragen in keinem Punkt auch programmatisch einig sind. Besonders die Meinungsunterschiede über die Wirtschaftspolitik sind so groß, daß die Liberalen bereits erkennen ließen, sie hätten neben Olszewski auch einen eigenen Kandidaten — den bisherigen Premier Bielecki, der sich auch der Sympathie Walesas erfreut.
Ganz gleich, wie der Kandidatenstreit letztlich ausgeht — nach der Abstimmung im Sejm ist das Zustandekommen einer Mitte-Rechts-Regierung wahrscheinlicher denn je. Klaus Bachmann, Warschau
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen