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Der Kaukasus steht vor dem Krieg

Nach dem Absturz eines Hubschraubers mit hohen Politikern über Berg-Karabach könnte Aserbaidschans Oberster Sowjet heute den Kriegszustand ausrufen/ Verschwörungstheorien in Baku  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Der Absturz eines Hubschraubers mit hochgestellten Regierungsbeamten aus Rußland, Kasachstan und Aserbaidschan sowie einigen Journalisten am vorigen Mittwoch in der umstrittenen Enklave Berg-Karabach forderte 22 Todesopfer. Mit ihnen, so scheint es heute, wurde auch jede Hoffnung auf das Gelingen einer Friedensmission begraben, die die Präsidenten Rußlands und Kasachstans, Jelzin und Nasarbajew, im September unternommen hatten, um den schwelenden militärischen Konflikt zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan um das Gebiet einzudämmen und die Kontrahenten zu einem Waffenstillstand zu bewegen. Dieser Mission hatten die Beobachter an Bord des Havarie-Flugzeugs dienen sollen.

Fast die gesamte Öffentlichkeit Aserbaidschans schob die Schuld am Unglück den Armeniern in die Schuhe. „Diese tragische Katastrophe ist Resultat der gleichen Diversion und der gleichen Verbrechen, die sich gegen die Souveränitätsrechte und nationalen Güter unseres Volkes richten, wie beispielsweise der Beschießung und Verödung unserer Dörfer und des Mordes an unseren Bürgern durch armenische Freischärler“, erklärte beispielsweise die Sozialdemokratischen Partei Aserbaidschans. Die Beerdigung der aserbaidschanischen Opfer des Unglücks am Freitag in Baku wuchs sich zu einer Demonstration von Zehntausenden aus, die von der Regierung forderten, härter durchzugreifen und „Selbstverteidigungstruppen“ aufzustellen.

Der armenische Präsident Ter Petrossjan schickte im Namen seines Volkes Beileidstelegramme an die aserbaidschanische Führung und an die Familien der Opfer. Gleichzeitig verwahrte er sich gegen die Beschuldigung seiner Landsleute. Angesichts der angespannten Lage in Armenien erannte Ter Petrossjan seinen Stellvertreter, Garik Aruntunjan, zum kommissarischen Ministerpräsidenten des Landes.

In Berg-Karabach verschärften sich inzwischen die Kampfhandlungen. Zwei Einwohner der Stadt Stepanakert starben an Schußwunden, auf die Stadt Schuscha wurden Raketen abgefeuert. Eine bereits drei Wochen währende Blockade der durch Aserbaidschan führenden Erdgasleitungen nach Armenien wurde am Wochenende nicht, wie im Zuge der jüngsten Unterhandlungen vereinbart, aufgehoben.

Obwohl Experten vor übereilten Schlußfolgerungen warnen, verdichten sich inzwischen die Indizien dafür, daß die in Berg-Karabach ursprünglich zum Schutze der Zivilbevölkerung eingesetzten Truppen des UdSSR-Innenministeriums an dem Flugzeugunglück nicht unbeteiligt sind. Indirekt sprechen dafür zumindest drei Tatsachen: Die Militärs setzten den Lokalterminen anfänglich Widerstand entgegen; die Analyse des Flugschreibers sollte zunächst in einem militärischen Forschungsinstitut vorgenommen werden; und schließlich wurde in der Nähe des Wracks ein leerer GAS-53- Geländewagen in Tarnfarben aufgefunden.

Aserbaidschans Führungsspitze hat zur Zeit allerhand innenpolitische Gründe, den Konflikt mit dem Nachbarland zu verschärfen. „Die Regierungskreise versuchen, die Leidenschaft, mit der die Opposition hier den Rücktritt von Präsident Mutalibow und des aserbaidschanischen Obersten Sowjets fordert, auf andere Ziele zu leiten“, meinte der Bakuer Korrespondent der russischen Nachrichtenagentur 'ani‘, Jagub Gassanow, zur taz. Er berichtete von einer im lokalen Fernsehen ergangenen Aufforderung an den mächtigen lokalen Gewerkschafter Nejmet Panachow, sich zur Verteidigung der territorialen Unversehrtheit Aserbaidschans nach Berg-Karabach zu begeben. Gassanow: „Das ist ein Versuch, die politisch aktivsten Teile der Bevölkerung aus Baku fortzuschaffen.“

Am heutigen Dienstag soll der Oberste Sowjet Aserbaidschans zusammentreten. Auf der Tagesordnung stehen die Aufhebung des Autonomiestatus Berg-Karabachs und die Erklärung des Kriegszustandes in der gesamten Republik Aserbaidschan, gleichsam eine offizielle Kriegserklärung an Armenien. „Vielleicht wird man den Flugzeugabsturz vom letzten Mittwoch noch einmal mit dem Reichstagsbrand vergleichen“, meinte dazu in Moskau der Schriftsteller Andrei Nuikin, Mitglied des Karabach-Komitees der russischen Intellektuellen.

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