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Hauptrollen sind Schinderei

■ Ein Gespräch mit Tom Berenger über Wolfgang Petersens „Tod im Spiegel“, Hitchcock und die Sechs-Tage-Woche

Ein Autounfall. Dan Merrick verliert Gesicht (vorübergehend) und Gedächtnis (endgültig). Wenigstens seine schöne Frau Judith (Greta Scacchi) verliert er nicht, und für die Suche nach der Vergangenheit wird ein Privatdetektiv (Bob Hoskins) engagiert. Die Folge: ein Thriller. „Tod im Spiegel“, seit einer Woche in den deutschen Kinos, ist Wolfgang Petersens erster Hollywood-Film, Tom Berenger spielt die Hauptrolle. Gerhard Midding sprach in Berlin mit dem Schauspieler.

taz: Mr. Berenger, ich habe „Shattered“ („Tod im Spiegel“) vor einigen Monaten gesehen. Inzwischen hat ihn Wolfgang Petersen aber neu geschnitten. Sind da viele Ihrer Szenen der Schere zum Opfer gefallen?

Tom Berenger: Ich habe ihn vor etwa acht Monaten gesehen, und er hat sich seither sehr verändert. Er ist kürzer geworden, nicht wahr? Ich kann Ihnen aber nicht genau sagen, worin die Änderungen bestehen... Ich weiß, daß eine lange Dialogszene mit meiner Frau fehlt — aber man vermißt sie irgendwie nicht. Dafür ist eine andere gute Szene wieder hineingekommen. Der letzte Cut gefällt mir auf jeden Fall besser als der frühere.

Mögen Sie als Schauspieler eigentlich überraschende Wendungen, die am Ende Ihre Figur in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen?

Augenblick, wir werden den Zuschauern doch keine Pointe vorwegnehmen?

Nein, mir geht es nur um Ihre Haltung dazu: Ist das eine ebensolche Herausforderung, als müßten Sie den wahren Charakter einer Figur erst allmählich aufdecken, wie etwa in „Betrayed“ („Verraten“), wo aus dem rechtschaffenen Farmer ein militanter Rassist wird?

Nein, natürlich nicht. Aber ich fand diese verblüffende Wendung am Ende ganz großartig. Und dem Publikum bei den ersten Previews ist es genauso ergangen: Die haben vor Überraschung geschrieen, ebenso wie die Figur, die ich spiele. Das Publikum mag offenbar diesen Dreh in einem Krimi.

Ein solcher Film funktioniert weniger durch Verschiebungen in der Sichtweise der Figuren. Das ist einfach ein sehr stilisierter Film mit einem richtigen Hitchcock-Plot. Er hat mich ein wenig an die beiden Hitchcock-Filme erinnert, die mir am besten gefielen: „Rear Window“ und „Vertigo“, beide mit James Stewart in der Hauptrolle. Auch da geht es in erster Linie um einen sehr komplizierten Plot und dann erst um die Figuren.

Da muß ich Ihnen widersprechen: Gerade in diesen beiden Filmen scheint mir der Plot aus der Psychologie der Figuren entwickelt zu sein.

Meinen Sie? Mir ergeht es anders. Ihre Sicht ist vielleicht eher eine europäische: Hier haben Sie schon immer mehr in Hitchcock-Filmen gesehen als nur Unterhaltung.

Zurück zu „Tod im Spiegel“: Ihre Figur entspricht ein wenig der eines Schauspielers, der in eine vorgegebene Rolle hineinwachsen muß.

Genau. Ihm wird gesagt, wer er sein soll, und auch, was er zu tun hat. Er ist ein wenig wie ein Kind, dem man Vorschriften macht.

Was mir an Ihrer Karriere gefällt, ist, daß Sie so frei zwischen Haupt- und Nebenrolle changieren. Stört es die Studios nicht, daß sie Sie so schlecht einordnen können?

Ich weiß nicht, ob es sie stört. Denn seien wir ehrlich: Die brauchen mich nicht! [lacht schallend] Mir selbst ist dieser Wechsel sehr lieb. Manchmal hängt das aber auch von den Regisseuren und vor allem von den Hauptdarstellern ab: Nicht alle akzeptieren es, daß ich eine Nebenrolle spiele, manche fühlen sich dabei nicht wohl. Wenn das so ist, übernehme ich diese kleinen Rollen auch nicht. Kurzauftritte mag ich besonders gern, vor allem, wenn ich mit den Regisseuren befreundet bin, wie mit Oliver [Stone]: Für ihn habe ich in „Born on the fourth of July“ einen Rekrutierungsoffizier gespielt. Nur ein oder zwei Drehtage und sehr viel Spaß.

Ich mag so etwas, weil ich dann nicht die ganze Zeit den Ball spielen muß: Ich bin nicht der Quarterback, mache nur ein, zwei Spiele mit und bin dann wieder verschwunden. Auf diese Weise kann man ohne Druck arbeiten. Wenn man eine Hauptrolle spielt, ist das oft eine ziemliche Schinderei! On location dreht man gewöhnlich sechs Tage in der Woche, nur in Los Angeles und New York hat man eine Fünf-Tage-Woche. Und dann macht man von Mittwoch bis Freitag Überstunden, weil die Produzenten den zusätzlichen Tag irgendwie noch herausholen wollen.

Kommt daher Ihr Faible für Ensemblefilme?

Ja, ich mag es, wenn man beim Drehen nicht allein ist. „The Big Chill“ („Der große Frust“), „Platoon“, „Eddie and the Cruisers“, alles Ensemblefilme. Aber nehmen Sie „Tod im Spiegel“: Da drehe ich tagelang nur mit Wolfgang und der Crew. Weit und breit kein Schauspieler, mit dem ich ab und zu mal einen Scherz machen könnte. In diesem Film geht es sehr stark um Atmosphäre und eine Stimmung der Einsamkeit. In dieser Hinsicht unterscheidet er sich ja auch nicht sehr von den beiden Hitchcocks, über die wir eben sprachen: Jimmy Stewart ist immer allein, er beobachtet und reagiert. San Francisco wirkt so ungeheuer leer in „Vertigo“. Manchmal kommt er aus seinem Apartment, und man sieht kein einziges Auto auf der Straße. Hier ist es das gleiche: In den Szenen im Hafen beispielsweise gibt es nur mich und den Nebel. Der Film, den ich mit Ridley Scott gemacht habe, „Someone to watch over me“ („Der Mann im Hintergrund“), war eine ganz ähnliche Erfahrung: ein Film noir über einen Heimatlosen, der zwischen Manhattan und Queens pendelt und sich von seiner Familie entfremdet.

Bei den Dreharbeiten zu „Tod im Spiegel“ habe ich oft Greta [Scacchi] und Bob Hoskins beneidet: Während ich irgendwo einsam mit der Kameracrew drehte, konnte Greta ausschlafen, gemütlich zu Mittag essen und dann in ein Gym gehen. Bob gab die meiste Zeit Interviews und trank jeden Nachmittag zur gleichen Zeit seinen Tee.

Sie haben sich bei Petersen beschwert?

Und ob! Darüber haben wir lange diskutiert. Aber er weiß, daß es mir einen Heidenspaß macht, mich zu beschweren. [lacht] Wie die Figur, die Walter Matthau in „Ein seltsames Paar“ spielte.

Das Gespräch führte Gerhard Midding.

Wolfgang Petersen: Tod im Spiegel. Nach The Plastic Nightmare von Richard Neely. Mit Tom Berenger, Greta Scacchi, Bob Hoskins. USA 1991, 97 Min.

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