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Rote-Khmer-Führer in die Flucht geschlagen

Phnom Penh/Berlin (afp/taz) — Nur wenige Stunden nach seiner Ankunft in Phnom Penh mußte der offizielle Chef der Roten Khmer, Khieu Samphan, gestern nach Bangkok zurückkehren. Aufgebrachte Demonstranten hatten zuvor die Residenz der Roten Khmer gestürmt und sich auf den 62jährigen gestürzt. Augenzeugen berichteten, daß Khieu Samphan von Soldaten blutend aus der Residenz der Roten Khmer geführt wurde, wo er sich verschanzt hatte.

Der kambodschanische Regierungschef Hun Sen war ebenfalls zu dem Gebäude gekommen und leitete die Evakuierung gemeinsam mit hochrangigen Militärs. Hun Sen erklärte, die Regierung habe Khieu Samphan umgehend angeboten, über die Lage zu beraten, als sich herausgestellt habe, daß es Probleme mit der wütenden Bevölkerung geben würde. Khieu Samphan habe jedoch eine Stunde gewartet und schließlich auf Anraten des Chefs des Obersten Nationalrates, Prinz Sihanouk, eingewilligt, nach Thailand zurückzukehren.

Schon die Ankunft Son Sens, des neben Khieu Samphan zweiten Repräsentanten der Roten Khmer im Obersten Nationalrat, in der vergangenen Woche hatte in der kambodschanischen Bevölkerung Angst und Verunsicherung ausgelöst und die mit der Rückkehr des Prinzen Sihanouk verbundene Friedenseuphorie gedämpft. In Phnom Penh hat nahezu jede Familie während der Terrorherrschaft der Roten Khmer Angehörige verloren. Hunderttausende, vielleicht über eine Million Menschen, kamen während des Terrors von 1975 bis zur vietnamesischen Invasion Ende 1978 um.

Hun Sen hatte bereits vor zwei Wochen für Khieu Samphan, den ehemaligen Staatschef und Vertrauten Pol Pots, einen „Empfang mit Knüppeln“ angekündigt. Möglicherweise ist die Demonstration außer Kontrolle geraten. Inzwischen hat sich der kambodschanische Regierungschef von dem Vorgehen der wütenden Menge distanziert.

Dabei hatte sich die Führung der Roten Khmer erhofft, mit der Rückkehr ihrer Führer in der Rolle von international akzeptierten „Staatsmännern“ die Grundlage für eine politische Zukunft im kambodschanischen Friedensprozeß legen zu können. Und so war auch Khieu Samphan als Verhandlungsführer in den Kambodscha-Gesprächen, die im Oktober zum Abschluß des UN- Friedensabkommens geführt hatten, aufgetreten: als seriöser älterer Herr mit Brille, das weiße Haar gut geschnitten, gewandet im westlichen Anzug und Schlips.

Seine Rückkehr war eigentlich schon einige Tage früher erwartet worden, doch beim ersten Treffen des Obersten Nationalrates in Phnom Penh fehlten die Vertreter der Roten Khmer. In Kambodscha hieß es daraufhin, Khieu Samphan habe sich erst noch die letzten Weisungen von Pol Pot, der weiterhin die Fäden in der Organisation in der Hand hält, abholen müssen.

Sein Werdegang war eng mit dem Pol Pots verbunden. Auch Khieu Samphan, Sohn eines Richters, hatte in den fünfziger Jahren in Paris studiert. An der Sorbonne promovierte er mit einer Arbeit über „Landbesitz in Kambodscha“. Seit 1956 war er Generalsekretär der kommunistischen Vereinigung kambodschanischer Studenten in Frankreich. Nach seiner Rückkehr Ende der fünfziger Jahre nach Kambodscha fiel er unter der Regierung Sihanouks wegen seiner linken Aktivitäten in Ungnade und verschwand für kurze Zeit im Gefängnis. Nach einer Zwischenetappe als Staatssekretär im Handelsministerium und Abgeordneter ging Khieu Samphan 1967 in den Untergrund und schloß sich den Roten Khmer Pol Pots an. Ab 1976 wurde er als Nachfolger Sihanouks Staatspräsident eines Regimes, das mit ungeheurer Brutalität und Systematik Intellektuelle, Wissenschaftler, Städter und alle, die dem Ideal des kambodschanischen „neuen Menschen“ nicht entsprachen, vernichtete.

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