piwik no script img

Strafanzeige gegen klatschenden Mob

Studentin erstattet Anzeige gegen Gewalt-Voyeure von Hoyerswerda/ Körperliche Unversehrtheit von Ausländern sei nicht eine Frage des guten Willens, sondern müsse einklagbares Recht sein  ■ Aus Münster Thomas Dreger

Landfriedensbruch und Beihilfe zum Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall (nach den Paragraphen 125 und 125a des Strafgesetzbuches) sowie Billigung von Straftaten (nach 140 StGB) wirft die Jurastudentin Lale E. aus Münster all jenen Bürgern von Hoyerswerda vor, die bei der brutalen Vertreibung von Asylsuchenden aus dem sächsischen Städtchen im September aus ihrer Sympathie für die Gewalttäter keinen Hehl machten.

Lale E. erstattete bei der Staatsanwaltschaft Hoyerswerda Strafanzeige gegen diejenigen, die beobachteten, wie Steine und Molotowcocktails gegen die Flüchtlinge flogen, „vor dem Wohnheim Beifall klatschten oder sonst offen Sympathie zeigten.“ Als mögliche Grundlage für die Ermittlungen, schlägt sie die über das Fernsehen verbreiteten Bilder von den Ausschreitungen vor. Rund 50 Personen schlossen sich bis Mittwoch ihrer Initiative an und erstatteten ebenfalls Anzeige.

Als sie die Bilder der vor dem Mob fliehenden Ausländer sah, sei sie „einfach sauer“ gewesen. „Ich dachte, dagegen muß man etwas tun, und habe das StGB aufgeschlagen.“

Lale E., 28 Jahre alt, geboren in Adana in der Türkei, lebt seit 17 Jahren in Deutschland und ist — wie sie selbst sagt — „juristisch gesehen“ Türkin. Bisher sei sie eher unpolitisch gewesen, und von Ausländerfeindlichkeit habe sie im Münsteraner Studentenbiotop selbst nichts bemerkt. Mit dem real existierenden Rassismus wurde sie Anfang Oktober per Post konfrontiert. Eine „Vereinigung zur Zerstückelung undeutschen Lebens“ drohte ihr und anderen Münsteraner Ausländern in Schmähbriefen, sie „mit Tamilenkacke“ zu übergießen und ihren „Rot-Grünen Analkopf in den aufgerissenen Tamilenarsch“ zu stecken.

Nach dem Kleinstadtpogrom von Hoyerswerda und den darauf beinahe täglich folgenden Angriffen gegen Ausländer in beiden Teilen der Republik beschloß Lale E., daß die körperliche Unversehrtheit von Ausländern nicht nur eine Frage guten Willens, sondern ein einklagbares Recht sein müsse. „Wenn ein Vietnamese Glassplitter im Auge hat und ein sogenannter Unbeteiligter ruft „Volltreffer!“, kann ich das nicht einfach hinnehmen. Die Leute in Hoyerswerda sind schließlich für ihre Handlungen verantwortlich. Daß sie applaudieren, kann man nicht einfach mit „sozialen Mißständen rechtfertigen“, begründet sie ihre Anzeige. Wenn die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehme, würden die Leute aus der schützenden Masse gelöst. Aus dem Mob würden, so hofft Lale E., für ihre Handlungen verantwortliche Individuen.

Zuständig in Hoyerswerda ist Staatsanwalt Joachim Moheeb, ein Berliner. Der wußte am Dienstag noch nichts von den rund fünfzig schriftlichen Anzeigen, die ab dem 13. November an verschiedenen Tagen aus verschiedenen Städten in den alten Bundesländern abgeschickt worden waren. Am Mittwoch dann hatte er sie plötzlich alle zusammen auf dem Schreibtisch, ein Postgang, der nach Angabe des Staatsanwalts „nicht mehr nachzuvollziehen“ sei. Moheeb wird die Anzeigen lediglich registrieren und anschließend nach Dresden weiterleiten, wo sich die Juristen der für politische Strafsachen zuständigen Abteilung 2 der Staatsanwaltschaft die Köpfe über die weiteren Ermittlungen zerbrechen werden.

Lale E. sucht unterdessen weitere Unterstützer der Anzeige, stößt dabei allerdings auf unerwartete Kritik einiger linker Juristen. Die fraglichen Paragraphen seien „Gesinnungsparagraphen“, die bisher fast ausschließlich zur Verfolgung linker Demonstranten eingesetzt wurden und deshalb, so die Kritiker, abzuschaffen statt einzusetzen seien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen