: Vom Bauhaus zur Soll-Wirklichkeit in Ulm
■ Eine Ausstellung im bauhausarchiv zeigt Fotografien der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm
Das war fast schon eine Überraschung, auch nur ein bißchen Farbe in dieser Ausstellung zu sehen. Aber selbst wenn farbig, entfalten die Fotografien der HfG Ulm eine kostbare Ruhe, klosterartige Kühle und Ausgeglichenheit. Was mir auf den Fotos am angenehmsten erschien, waren die leeren Räume und der Eindruck einer langsameren, weniger aggressiven Zeit. Damals — in den fünfziger und sechziger Jahren — mußten offensichtlich keine Studenten auf dem Korridor den Vorlesungen folgen. Auch wenn viele Menschen gezeigt werden oder durch Verzögerung eine Dynamik empfunden werden soll, sieht sich ein Betrachter im Jahre 1991 inmitten stiller Bilder, die zwar manchmal Bewegung oder auch Menschengruppen abbilden, nie jedoch die wahnwitzige Hastigkeit und Hektik der beschleunigten Menge der Jetztzeit widerspiegeln. Auch das Auto, das noch zum Fortbewegen diente und sogar von anständigen Leuten gepriesen werden konnte, hat seine Bedeutung als Element des ikonischen Codes völlig gewechselt. Die Wirklichkeit dieser Fotos ist keine objektive Realität von damals. Der perfekt sitzende Titel dieser Präsentation deutet das geradezu redundant.
So gut ich diese Lichtbilder lesen und verstehen kann, erzählen sie von einer fiktiven Zukunft, die jedoch nie verkörpert wurde. Es ist eine Art »sozialistischer Realismus« mit der Soll- Wirklichkeit und Auslassung des Unperfekten. Gewiß, auch die »objektive Objektivität« war damals anders als die unsere. »In Deutschland wohnen 487.000 Ausländer«, wirbt ein Plakat aus dem Jahre 1960 gegen die Ausländerfeindlichkeit. Im Jahre 1991 veröffentlicht, würde es wahrscheinlich als Volksverhetzung empfunden. Auch das dynamische Buchstabenspiel »Shell — schnell« ist heute doppelt out. Sie wollten nicht zum Bleistift greifen, weil das ihnen zu subjektiv war. Das Objektiv sollte garantieren, daß zwischen dem Subjekt und dem Objekt keine Manipulation stattfinden wird. Ist das nur naiv oder vielmehr großartig utopisch ? Durch die Fotos werden Tatsachen geschaffen, nicht widergespiegelt, daher war die fotografische Arbeit der Ulmer — wider Deklarationen — mehr eine kosmogonische als eine epistemologische Aufgabe.
Die Ästhetik der Ulmer Fotografie ist die gleiche, die in den Produkten und Entwürfen aus der HfG als philosophische Wurzel steckt: So sparsam und sachlich wie möglich, leise, wissenschaftlich, minimalistisch. Eine Verbindung zum Bauhaus und gleichzeitig eine Negation der Kunst als Instrument der Politik, auch Verneinung jeder Gigantomanie. Versucht man — als Außenseiter—, das Positive und Wertvolle im Deutschland dieses Jahrhunderts zu resümieren, kommt man unvermeintlich auf die Bauhaus-Tradition einer funktionellen Umweltästhetisierung mit dem Hang zum Utopischen. Daß der Mythos Bauhaus der nationalsozialistischen Verfolgung mit »zu verdanken« ist, sei dahingestellt; um so mehr, als gerade die zweite Hochschule für Gestaltung (das war auch der volle Name des staatlichen Bauhauses) in Ulm auch ohne Verfolgung fünfzehn Jahre lang in einer bewundernswerten ästhetischen Kontinuität bestand.
Ist es nur eine Ironie der Geschichte, daß im gleichen Jahr und im gleichen Ländle eine Maßstäbe setzende Ausstellung zu 50 Jahren Bauhaus vorbereitet und eine Schließung der HfG zu ihrem 15jährigen Jubiläum durchgeführt wurde? Oder vielmehr ein Beweis für die Undurchführbarkeit einer — möglicherweise doch utopischen — Idee? Die Vollkommenheit dieser Bilder wird vom Katalog der Ausstellung nicht nur dargestellt, sondern auch fortgesetzt — nicht nur Texte und Druck, sogar das chlorfrei gebleichte Papier ist perfekt. Da hat man schon ein wenig Angst, als ein Sterblicher darüber zu schreiben... Piotr Olszowka
Bis 20. Januar 1992 im bauhausarchiv, Klingelhöferstraße, Tiergarten
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