piwik no script img

DDR-Helden sagen nicht »Heul« oder »Schluck«

■ Der Ost-Comic »Mosaik« ist der Abwicklung entronnen/ Die Auflage sank allerdings von 900.000 auf 200.000

Berlin. »Unerwartetes Ende« lautet der Titel der letzten Ausgabe der Ostcomikzeitschrift Mosaik. Doch das Ende läßt auf sich warten. Obwohl der Verkauf des Verlages Junge Welt, der Mosaik herausgibt, an den Bauer-Verlag perfekt schien, scheiterte die Übernahme, da Bauer nicht alle Konditionen der Treuhand akzeptieren wollte. Jetzt gibt es eine neue Interessentin für Mosaik: die Werbeagentur »Procom«.

Mosaik, einst als Gegenstück zu den »westlich-dekadenten« Comics konzipiert, näherte sich diesen unfreiwillig immer mehr an. Ursprünglich bestanden die »Bildergeschichten« aus Fließtext und zugeordneten Zeichnungen. Im Laufe der Jahre bedienten sie sich zunehmend der Technik des klassischen Comic — Sprechblasen und Geräuschworte. Ausdrücke wie »Knoff! Pung! Zoing!« hielten ihren Einzug auch in der sozialistischen Bilderwelt. Doch Verbderivate wie »Heul!« oder »Schluck« blieben der Westwelt vorbehalten, weil unter anderem auch die Protagonisten Barbax, Abrax und Califax unerschrocken durch Zeit und Raum tingeln, ohne je zu schlucken oder gar zu heulen.

Seit 1955 gibt der Verlag Junge Welt — vormals Verlag Neues Leben — Mosaik für kleine Nachwuchssozialisten zwischen 12 und 14 Jahren heraus. Mit einer Auflage von 900.000 Stück hatte das Bilderblatt in der DDR ein gutes Auskommen, doch mit der Wende sank der Abostamm auf 90.000 Leser, 100.000 Hefte finden im freien Verkauf ihren Absatz. Fix & Foxi, Asterix und nicht zuletzt Donald Duck sowie Mickey Mouse machen dem Blatt das Monopol streitig und der Redaktion das Herz schwer. Denn der Verlag Junge Welt soll von der Treuhand aufgelöst werden.

Die Ostdependance der Werbeagentur Procom, die Interesse für eine Übernahme von Mosaik angemeldet hat, gründete zu diesem Zweck den »Mosaik Steinchen für Steinchen Verlag«. Klaus Schleiter, Gesellschafter dieses neuen Verlags und Herausgeber in spe, möchte nun das defizitäre Blatt von den tönernen Füßen des Ostverlagskolosses auf die solide Basis der Marktwirtschaft stellen.

Die zwölf Mitarbeiter der Redaktion bleiben. Texter, Graphiker und Farbgestalter werden auch zukünftig die Kobolde in Handarbeit durch die Gezeiten der Geschichte huschen lassen. Computergraphik ist bei den Machern verpönt; das rustikale DDR-Ambiente der Redaktionsräume gebietet den altehrwürdigen Pinselstrich. Nicht nur die Produktionsweise soll nach Willen der Redaktion erhalten bleiben, der Stil der Bildergeschichten erscheint ihnen genausowenig reformbedürftig. Mit lediglich einem geänderten Druckverfahren und höheren Anzeigenerlösen hofft man, den Weg zur steigenden Auflage gefunden zu haben. Dirk O. Evenson

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen