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Der Krieg der Adventssterne

■ Der moderne Mensch leidet immer öfter an wut- und allergieauslösender Adventsphobie

Nun beginnt wieder die Zeit, wo der Krieg der Sterne ausbricht. Wo die Straßen unsicher werden, wo man an jeder Ecke von faustdicken Sternen und glühend aggressiven Kometen angefallen wird. Wo überall die bösen Kerle hausen, diese Macho-Nikoläuse mit Sack und Rute und ihrem sadomasochistischen Homo-Verhältnis zu Knecht Ruprecht — welche Frauenorganisation fordert hier endlich mal »Schnipp schnapp, Rute ab« und »Schluß mit dem Spuk«? Wo man auf Schritt und Tritt belagert wird von Nußknackervisagen und süßlich säuselnden Engeln und aufdringlichen Kindelein, die einem »Mon cheri« oder »Tchibo«-Kaffee ins Maul stopfen wollen. Wo man in der U-Bahn von marodierenden Musikerhorden mit vorgehaltener Wasserpistole gezwungen wird, die dargebotenen Weihnachtslieder stimmlich und materiell zu unterstützen. Wo man über keinen Platz laufen kann, ohne daß sich drohend ein Tannenbaum in den Weg stellt. Wo man, um ein paar Stecknadeln im Kaufhaus zu kaufen, sich erst durch Berge von Mandeln und Halden voller Lebkuchen beißen muß, bis man den Verkäufern vor die Füße kotzt und dann im Polizeigriff dem Geschäftsführer vorgeführt wird.

Paranoia? Nein, Adventsphobie. Auch wenn keine Statistiken darüber vorliegen: Immer mehr Menschen leiden in empfindlichem Maße an diesem neuzeitlichen Phänomen. Kordula A. beispielsweise könnte »Steine in den Fernseher werfen, wenn ich dieses Getue um die heilige deutsche Familie in der Werbung sehe«. Jeannette B. reagiert allergisch und mit pickeligem Ausschlag auf Gänsebratengeruch. Ute C. fordert im Gespräch der taz, »Weglaufhäuser« für Bürgerinnen und Bürger zu öffnen, die sich weigern, Weihnachten mit ihren Liebsten zu verbringen. Erwin F., gelernter Pastor, findet das unmöglich: »Man kann doch nicht sein Leben lang in pubertärer Rebellionspose verharren, man muß doch mal erwachsen werden!« Dennoch gibt auch er zu, daß der Weihnachtsstreß ihm Schlaflosigkeit und Magenverstimmungen beschert.

Da könnte er sich mit dem Großvater von Michaela S. zusammentun. »Die entsetzlichsten Minuten« des christlichen Liebesrausches brächen dann los, berichtet Michaela S., wenn in ihrer Familie die Weihnachtslieder angestimmt würden. Nicht einer träfe den richtigen Ton. Damit sei dann immer der Moment für den querulatorischen Opa gekommen, ein anderes fröhliches Lied anzustimmen: »Komm lieber Mai und mache die Blätter wieder grün!«

Grüne Blätter oder Tannennadeln — nichts sehnlicher wünschte sich Almud M. als Kind. Sie berichtet von einer regelrechten »Weihnachtsbaumphobie«, da sich ihr Vater »all die Jahre penetrant« geweigert habe, zum Fest einen richtigen Weihnachtsbaum für die Familie zu kaufen. »Jahrelang hatten wir nur so was wie einen riesigen Besenstiel in der Stube stehen, in den große Baunägel eingeschlagen waren.« Tannengrün vor Neid hätten sie als Kinder die Weihnachtsbäume in anderen Häusern bestaunt. Bis schließlich in einem Jahr des Glückes ein mitleidiges Herz der Familie von Almud M. einen richtigen Tannenbaum schenkte. Doch o weh — was fiel dem Vater beim nächsten Weihnachtsfest ein? Er baute den inzwischen braun gewordenen Baum mitleidlos wieder im Wohnzimmer auf. Und als sich auch nun wieder ein vorüberziehender Samariter fand, der der vom Schicksal gebeutelten Familie ein Tännchen bescherte, wurde jenes durch die strenge väterliche Hand mit Stricken und Seilen an das braune Gestrüpp vom Vorjahr festgebunden, als handele es sich um einen Marterpfahl. »Inzwischen», berichtet Almud M., »ist das Gestrüpp bald meterdick. Denn jedes Jahr ist auf diese Weise eine Schicht Tannenbaum dazugekommen.« Ute Scheub

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