Der mit den Ohren

■ Genscher Airlines, ARD, Do. 20.15 Uhr

Genscher als Baby, Genscher als Knabe, Genscher als spindeldürrer Mittzwanziger, Genscher als Nachwuchspolitiker, Genscher als Genscher in seiner alten Boing bei seiner Lieblingsbeschäftigung: Reisen. Der Außenminister hat bei seinem Fernsehporträt offenbar bereitwillig mitgespielt und einige wunderschöne Fotografien aus der Kind- und Jugendzeit beigesteuert, wie man sie von Politikergrößen selten zu sehen bekommt. War dies mal wieder einer der klugen Schachzüge des Medienfuchses, der wie kein anderer die Presse zu instrumentalisieren versteht? Dazu gehören immer zwei, und Raimund Kusserow darf man bescheinigen, daß er die kritische Distanz zu dem beliebtesten deutschen Politiker gewahrt hat.

Der dienstälteste Außenminister Europas ist ein zutiefst mißtrauischer Mann, hören wir ganz am Anfang. Und weil so einer trotz all der Souveränität, die er vor der Kamera ausstrahlt, niemanden an sich ranläßt, erfahren wir nicht von Genscher, sondern von seinem Journalisten- Troß, von den Beamten seines Apparats, von Köchen und Piloten die interessantesten Neuigkeiten. Nach intimeren Dingen, wie etwa der Verarbeitung seiner Herzattacke wird „der mit den Ohren“ (Wehner) allerdings auch gar nicht gefragt, was zu bedauern ist. Auch die angeblichen Grenzerfahrungen mit seiner Tuberkulose werden nur angetippt.

Trotz dieses liebevoll gemachten Films bleibt uns Hans-Dietrich Genscher seltsam fremd, wir erfahren allerdings viel über den Außenminister Genscher. Der Hallenser duldet keine Querdenker, er überfordert ständig seine Mannschaft, liest immer weniger Akten, hält dafür ausdauernd vor Journalisten Hof, und er telefoniert montags in aller Herrgottsfrühe nach Hause, um zu erfahren, ob er auf den Sympathieskalen des 'Spiegel‘ noch immer dort steht, wo er seiner Meinung nach auch hingehört: ganz oben. Genscher will geliebt werden, aber wer will das nicht?

Am spannendsten waren die Bilder aus seiner engeren Umgebung. Melancholisch blickt eine Mitarbeiterin über die Skyline New Yorcks. Seit vielen Jahren reist sie mit dem Sachsen, aber außer Hotels und Flughäfen hat sie nie etwas gesehen. Das ist das eigentlich Absurde: Genscher jettet im Jahr durch Hunderte von Ländern, aber er hat kein einziges Land wirklich kennengelernt. Reisen ohne jemals anzukommen. Das bleibt seinen Piloten vorbehalten, die wir bei ihren Touren begleiten und die erfahren „wo die wirklichen Probleme liegen“.

Die Politik ist eine Droge und Genscher ist ihr Junkie. Ein anderes Lebens als das des globalen diplomatischen Händeschüttlers kann es nicht geben. Und so wird Genscher wohl noch lange mit seiner Boeing 707 Kurs halten, so lange, bis der Wähler mehr will als: keine Experimente! Manfred Kriener