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Heute über Gran Canaria: Stefan Emmerich: "Gran Canaria: Reiseführer mit Insider-Tips

Reisebücher unterliegen dem Zwang zur Konstruktivität. Ihre Autoren müssen das ausgewählte Ziel positiv darstellen, damit sich das Buch auf dem Markt gut verkaufen läßt. Der Urlauber kauft es, um sich die „kostbarsten Wochen des Jahres“ in schönen Farben ausmalen zu können. Kritik ist dem abträglich.

Stefan Emmerich hat diese Grundregel der Reiseführer- Branche beherzigt und in der Marco-Polo-Reihe einen praktischen Ratgeber zu Gran Canaria veröffentlicht. Dieser liest sich wie ein Auftragswerk der kanarischen Tourismusindustrie, soll — so scheint es — dem schlechten Image entgegenwirken, das die Insel, insbesondere ihr südlicher Küstenabschnitt, in den vergangenen Jahren erworben hat. Programmatisch heißt es bereits im Vorwort: „Gran Canaria ist fast nur für angenehme Überraschungen gut“ (7).

Vor dem Lob des Autors sind nicht einmal die Bettenburgen an der Costa Canaria sicher. Playa del Inglès wird aufgewertet zu einem „modernen Touristenort“, einem „einmaligen Phänomen im Sinne moderner Ferienkonzeption“ (70). Hier braucht man keine Furcht zu entwickeln vor fremder Sprache und Kultur, alles ist fest in deutscher Hand. Spielcasino, Jux-Stierkampf, Esel- und Jeep-Safari — das alles ist Teil des „außerordentlich vielfältigen“ Freizeitangebotes, auch dies, so Emmerich, ein „einmaliges Phänomen“ (9). Die Costa Canaria: ein „Magnet, der alle anzieht“ (8). Wer einmal ihrem „spröden Charme“ (9) verfallen sei, komme stets hierher zurück.

Stefan Emmerich liebt die Sprache der Superlative, das vorgestellte Produkt soll schillern und glänzen. In der Hauptstadt Las Palmas „ballen sich förmlich die Attraktionen“ (5), im Hafen von Agaete „ballen sich die Fischrestaurants“ (35). Der Autor auf der Jagd nach Sensationen — und wo er sie nicht findet, erfindet er sie: „Am Ende der Sellerieschlucht wohnen die letzten Ureinwohner“ (34), „in der Bodega, der größten Rum-Fabrik Spaniens, saß auch schon Walter Scheel“ (34). Ein Taschendiebstahl in Las Palmas wird ihm zum Beweis, „daß diese Stadt lebendiger ist, als man es sich mit Hilfe der bunten Prospektbilder vorgestellt hat“ (40).

Stefan Emmerich liebt das Positive. Und wo ein Negatives nicht zu leugnen ist, verharmlost er es durch pointenhafte Floskeln. „Wenig musischen Sinn“ dokumentieren die vielen neu entstandenen Wohnblocks in Ingenio (65); „schaurig-schön“ nennt er die durch Bettenburgen verunstalteten Küstenabschnitte (74), „liebevoll verwahrlost“ die Strandpromenade von Arinaga (65). Nur über die Autobahnstrecke vom Flughafen in Richtung Süden will ihm partout nichts Positives einfallen, doch auch hier ersinnt er einen „Gag“: „Lieblos, asozial der Müll und Dreck an manchen Stellen. Hier ist Gran Canaria dem afrikanischen Kontinent am nächsten“ (8). Der deutsche Michel klatscht in die Hände — das ist es, was ihm Freude macht: rassistische Anspielungen wagen dürfen, ohne des Rassismus überführt werden zu können. Denn wer wollte die Nähe der Insel zu Afrika bestreiten?

Emmerich schaut dem Volk aufs Maul, und was da so heraussprudelt und -quillt, wird nicht der notwendigen Kritik unterzogen, sondern eifrig reproduziert: Die hohe Arbeitslosigkeit der Canarios ist „weniger eine Frage konjunktureller Krisen als vielmehr ein Erbe der einst sehr hohen Geburtenrate“ (11) (!).

Einem Autor, der solch tiefgreifende Einsichten in ökonomische Zusammenhänge entwickelt hat, kann nicht zugemutet werden, daß er sich auf allen Gebieten des geistigen Lebens gleichermaßen gut auskennt. Wer wollte es ihm also verdenken, daß er Ausschau nach Publikationen hält, mit deren Hilfe er seine Wissenslücken unbemerkt schließen kann? In einer kanarischen Monatszeitschrift entdeckt er im April 1990 einen Artikel über das in Las Palmas neu entstandene „Zentrum für moderne Kunst“ — ja, auch über moderne Kunst möchte er schreiben können... Und fürwahr, er kann es, kenntnis- und listenreich! Im Buch des Stefan Emmerich finden wir ihn wieder, jenen Artikel aus der kanarischen Monatsschrift — wortwörtlich übernommen und ohne Angabe der Quellen... Aber wer wollte so kleinkrämerisch sein und ihm, der doch so eifrig für Gran Canaria die Werbetrommel rührt, diesen kleinen Diebstahl verübeln? Izabella Gawin

und Dieter Schulze

Stefan Emmerich: Gran Canaria: Reiseführer mit Insider-Tips (Marco-Polo), Mairs Geographischer Verlag, Ostfildern 1991, 9,80 DM

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