: Banalitäten von vorgestern
AMPELDEBATTE
Banalitäten von vorgestern
Karoline Linnert, Sozialpolitikerin, grüne Abgeordnete und Mitglied der Ampel-Verhandlungskommission, gehörte zu den wenigen KritikerInnen der Regierungszusammenarbeit mit SPD und FDP. Das folgende Papier schrieb sie für die grüne Mitgliederversammlung am Samstag (vgl. S.21).
Da sitzen sie nun, die grünen Bürgerkinder, und staunen: Trotz großer Mühen hat die Verhandlungskommission keinen Dukatenesel im SPD-Filz entdeckt, hat keine basisdemokratischen Entscheidungsstrukturen aufrecht erhalten, hat keine demokratische, frauenfreundliche, ökologische und soziale „Umsteuerung“ durchgesetzt und hat auch nicht ein Personalkonzept der Titaninnen im Ärmel. Sie hat genau das ausgehandelt, was auszuhandeln war: eine Regierung mit Sparkonzept in einer strukturschwachen Region, die — ob mit FDP oder ohne — die im Kapitalismus notwendigen wirtschaftsfreundlichen Signale aussendet.
Kritik an der Kommission, an dem Verhandlungsergebnis und an der Strategie ist berechtigt und notwendig, sie setzt allerdings nur ein grundsätzlich ungeklärtes Problem fort: das Problem von Reformpolitik im auf Wachstum setzenden weltweiten Kapitalismus. Dieses Wirtschaftssystem wird derweil weiterhin bedingen — mit oder ohne uns, in Regierung oder Opposition —, daß Menschen nach ihrer in Geldwert zu messenden Leistung beurteilt werden und die Umwelt als ausbeutbare Ressource behandelt wird.
Wenn Ihr einen Weg darin oder daneben seht, dann wechselt die Personen aus, glaubt weiter, daß wir das alles besser und ordentlicher machen werden, daß wir nur lange genug nach den Gestaltungsspielräumen suchen müssen, damit alles gut wird, daß das Problem SPDFDPCDU oder wir selber sind, sucht weiter nach der Gestaltungslücke in der Marktwirtschaft, die uns dann hilft, Menschen und Umwelt zu retten. Wenn Ihr den Weg nicht entdeckt, so wie ich, dann bleibt für unsere angepaßt dem Machbarkeitsmythos und der Selbstüberschätzung anhängende Generation wenigstens erstmal das Eingeständnis. Karoline Linnert
hier bitte das
Schattenriß-Foto
mit der Frau in der Tür
Foto: Vankann
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