: Jugend trainiert für die GEMA
■ Senatsrockwettbewerb, vorletzte Runde: No Solo, Empire und Voices of Neucoelln im Loft
Menschen über zwanzig hatten am vorletzten Spieltag der Landesliga für populäre Musik am ruhigeren Rand des Konzertsaals Aufstellung bezogen, um den Platz vor der Bühne Scharen fröhlich gackernder Vierzehn- bis Achtzehnjähriger zu überlassen, die gekommen waren, die Auftritte zweier HipHop-Bands zu erleben. (Der Autor kann zwar, seinem frischen Aussehen nach zu urteilen, unmöglich älter als 25 sein, ist aber sehr reif für sein Alter. d.red.) Die wenig älteren DJs und Rapper auf der Bühne verbanden das vor Ort arrangierte Material aus dem Plattenspieler mit live vorgetragenen Stimmen und musikalischem Zierrat wie Gesang, Gitarren und menschlichen Rhythmusmaschinen.
Mit geradebeultem Englisch, den Gestus ihrer amerikanischen Vorbilder mit viel »Yo man, check it out!«'s sorgfältig abkupfernd, verbreitete die Marzahner Band No Solo während ihres knappen Auftritts Tanz- und Partystimmung eines gelungenen Schulfests.
Daß von den Texten außer dem Refrain kaum etwas zu verstehen war, machten die posenden Azubis mit ins Publikum geworfenen Textblättern und Schokoriegeln wett. Rock 'n' Roll-Mätzchen wie das Nachblöken von Textzeilen durch das Publikum — »Can you hear me? Say Yeah!« — zitierten Frank Felke und Bastian Stöhr ebenso schamlos wie die beiden jungen kaugummikauenden Frauen, die mit schrillem Chorgesang und Go- Go-Tanz die Szene flankierten.
Das Selbstbewußtsein, mit dem No Solo ihr musikalisches Handicap ignorierten, machte sie so sympathisch, daß ihr Programm nicht einmal an der durchweg englischsprachigen Moderation Schaden nahm. Die womöglich unfreiwillig genialen Dilettanten sollten nicht versuchen, die von ihnen ohnehin abgelehnten kommerziellen Vorbilder zu erreichen, sondern bei der geplanten Lesung des Dichters Ernst Jandl im Frühjahr hören, wie deutsch gerapt wird.
Empire aus dem Bezirk Steglitz, die zweite Crew des Abends, fiel durch handwerkliche Perfektion auf, was leider für wenig mehr als das Kopieren von Allerwelts-HipHop genutzt wurde. Aggressiv wetterten Rapper Joachim Müller (19) und Robert Kucak (21) gegen Staatsgewalt (»Fuck the Police«), fluchten brav auf englisch, ohne sich beim Zitieren der geklauten Phrasen und perfekten Macho-Posen nennenswert zu verhaspeln. Kurz: Es war todlangweilig. Dazu verursachten zwei DJs routiniert baßbetonte Tanzrhythmen, um die von der PA des Loft übel verzerrten Stimmen zu unterlegen. Anstatt permanent Trockeneisnebel ins schlecht gelüftete Etablissement zu blasen, hätte man lieber eine brauchbare Gesangsanlage beschaffen sollen.
Ein Generationswechsel beim Berliner Rockmusikwettbewerb also? Nicht ganz. Als am Ende des Abends die von der Jury favorisierten, das heißt einstimmig ausgewählten Voices of Neucoelln ihre »neue deutsche Poesie« zur Aufführung brachten, waren Oberschüler und Stammpublikum wieder unter sich. Der selbstverliebte Sprechgesang des schwarzbewamsten Stephan Rieck wurde begleitet durch ein Tonbandgerät, zwei mäßig begabte E-Gitarristen und den Chorgesang zweier junger Frauen.
Zum Gezwitscher vom Band, mehr Architekturstudenten-Hip als Tanz-Hop, zermatschte der Mix die zwischen Markus (»Gib Gas, ich will Spaß«) und Max Goldt wabernden, zumeist anzüglichen Texte der Voices. »Über Sex zu sprechen / das ist ein alter Brauch / und wenn andere darüber singen / dann können wir das auch«, sinnierte der betont sensible Rieck sinngemäß, und sein Publikum belohnte ihn dafür.
Und natürlich haben die Voices of Neucoelln — als einzige Band dieses Senatsrock-Abends — schon ihren Vertrag bei der Musik-Verwertungsgesellschaft GEMA. Stefan Gerhard
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