: Keine alten Kreuzberger Suppentöpfe für Marzahn
■ 14. Runde im »Stadtforum«: Alte und neue Städte in der Stadt/ Zeitgemäße Methoden der Stadterneuerung sind gefordert/ Vorbild: Niederlande
Wenn alte Suppentöpfe für neue Planungsaufgaben in konfliktträchtigen Stadtteilen — vornehmlich in Ost- Berlin — aufgemacht werden, schmeckt das Ergebnis meistens schal: Steuerungs- und Entwicklungsinstrumente aus seligen Zeiten der »Alt-IBA«, die sich für die Wiederbelebung des Kiezes ein methodisches Rüstzeug zulegte, scheinen obsolet angesichts der stadtplanerischen, baulichen, sozialen und finanziellen Probleme in den großen Stadtteilen wie Marzahn, Hellersdorf oder Friedrichshain. So hinreichend die Kreuzberger IBA-Alt-Aktivitäten damals waren — Rettung der vorhandenen Bausubstanz, Schutz der Mieter vor Verdrängung und Stärkung der spezifischen lokalen Identitäten — sie sind als »Handlungsmuster heute nur noch partiell adäquat«, wie Helga Faßbinder zum Auftakt der 14. Runde im Stadtforum zum Thema »Alte und Neue Städte in der Stadt« sagte. Vielmehr müßte der »Flickenteppich von situationsspezifischen Zielen, Instrumenten, Maßnahmen und Vorgehensweisen« weitergestrickt werden.
Ohne überheblich zu sein: einige der Referenten hätten gut daran getan, sich die »Leitgedanken« Helga Faßbinders klarer vor Augen zu führen. Die Planungsaufgaben zur Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität in den geschundenen Stadtteilen sind zu wichtig, als daß sie in flugblättlerischer Manier verschenkt werden könnten. Marzahn, referierte der Soziologe Bernd Hunger, leide unter »Identitätsverlusten«. Die »soziale Sicherung dieses Gemeinwesens« sei in Frage gestellt. Schließlich würde ein Großteil der Jugendclubs, Kitas und Polikliniken geschlossen, und darüber hinaus fehlten seit der Wende Initiativen wie »Mach mit Frühlingsputz« oder das soziale Netz der alten DDR-»Volkssolidarität«. Ein »Zusammenbruch der Solidargemeinschaft« sei ebenso festzustellen wie eine soziale Zersplitterung im 150.000-Menschen- Viertel. Nicht weniger dramatisch — und nicht weniger hilflos — hörten sich der Bericht von Klaus-Peter Pollück (BA Schöneberg) über die Obachlosigkeit (»Prävention muß da Abhilfe schaffen«) sowie Hans Georg Schapdicks (BA Hohenschönhausen) Horrorszenarien über jugendliche Drogenkarrieren (»Es gibt kaum noch Jugendliche zwischen 8 und 18, die nicht bewaffnet sind«) in dem mörderischen Stadtteil an. Wenn Sozialpolitik auf der Ebene von reißerischen Headlines geführt wird, diskreditiert sie die Betroffenen eher, als daß sie ihnen hilft.
Dennoch — wie könnten neue Steuerungs- und Entwicklungsinstrumente in den Stadtteilen aussehen? Ein möglicher Lösungsansatz beim »Alltagsteil« der Planungsaufgaben in Berlin, schlug Helga Faßbinder vor, beginne bei der Koordination von bautechnischen, funktionalen, ökonomischen und sozialen Aspekten. Vor allem solle es darum gehen, »die Problemstellung so zu formulieren, daß durch die Wahl eines integralen Planungsansatzes die im Gebiet selbst vorhandenen Potenzen aktiviert werden«. Stadtplanerische Zielvorstellungen müßten an spezifischer Stelle formuliert werden. Sie dürften nicht administrativ, schon gar nicht dirigistisch eingesetzt werden. Vor Ort könnte mit Betroffenen, Interessengruppen und Verwaltungen nach »effizienten planerischen Management-Strategien« gesucht werden, die jenseits des amtlichen, ewig dauernden Planungsdschungels zu Gestaltungen führten.
In den Niederlanden, berichtete der holländische Stadtplaner Jos Smeets, wird seit zehn Jahren ein methodisches Instrumentarium zur »Gebietsbetreuung in Gemeinden« praktiziert, das Vorbildcharakter für Berlin haben könnte: In den »städtischen Beheers« (Siedlungen, Straßenzüge, Ensembles) wurde — um verfallsbedrohte Quartiere und Stadtgebiete behutsam zu erneuern und das Funktionieren von sozial äußerst heterogen strukturierten Gesellschaften zu garantieren — mit Integrationsmodellen experimentiert. Kennzeichnend für die Verbesserungen des Wohnumfeldes, der sozialen Einrichtungen und eines finanziellen Managements ist der Gedanke der öffentlich-privaten Partnerschaft. Dabei werden die Handlungen von öffentlichen Instanzen und privaten Interessengruppen koordiniert. Ziel dieser Koordination ist die Verflechtung von baulichen und stadtplanerischen Maßnahmen mit den sozialen »Aktivierungsstrategien eines ‘social managements‚«. Voraussetzung für das Gelingen der planerischen, sozialen und selbstverantwortlichen Aktivitäten der Bürger, so Smeets, sei die »Entsektoralisierung der Verwaltungen«, deren »Delegierte« in den Wohngebieten mit Teams der Anwohner zusammenarbeiten würden. In Molenwijk (bei Den Haag), Amsterdam und Rotterdam seien so die Erneuerungen von Siedlungen durch den organisierten Lernprozeß und das Bewußtsein für eine städtische und soziale Verantwortung gesteuert worden.
Den praktischen Erfolgen bei den niederländischen »Beheers« stehen in Berlin — sieht man von der Wohnumfeldverbesserung im Märkischen Viertel einmal ab — nur theoretische Modelle gegenüber. Sie gleichen eher politischen Leitsätzen als Ansätzen einer praktischen Stadtteilentwicklung. Unter der Überschrift »Demokratie als Bauherr« schlug Klaus Duntze, der sich als Kreuzberger Pfarrer seit Jahren für die Stadterneuerung einsetzt, Prinzipien integraler Planung vor: »Alle betroffenen und beteiligten Gruppen wirken partnerschaftlich an der Formulierung der Planziele und an der Überprüfung ihrer Ausarbeitung mit.« Ein runder Tisch und Beratungseinrichtungen ergänzten seine Forderungen. Zudem bildet der »Instrumentenkatalog zur sozialorientierten Gebietsentwicklung«, den die Stadtplanerin Franziska Eichstädt-Bohlig im Stadtforum vorstellte, einen frommen Verfahrensansatz: Die Stadtteilentwicklung soll denen dienen, die in den Vierteln wohnen und arbeiten. Alle Planungen und Maßnahmen seien mit den Betroffenen abzustimmen, und Konzepte seien zu erarbeiten, die einen weitgehenden Konsens aller Interessengruppen ermöglichten. Für alle Maßnahmen, so Eichstädt-Bohlig, sollten die Prinzipien der Sozial- und Umweltverträglichkeit gelten. Die Stadtteilentwicklung sei als Instrument zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Qualifizierungsprojekten geeignet. »Jede zupackende Hand wird gebraucht.« Rolf R. Lautenschläger
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