: Weltfrieden begann mit dem Faustrecht
■ Das Treffen zur Aufarbeitung von Kriegsverbrechen im Golfkrieg versandete in Absichtserklärungen
Stuttgart (taz) — „Bei manchen Veranstaltungen der deutschen Friedensbewegung“, klagt einer ihrer langjährigen Streiter, „müßte ich mich eigentlich betrinken.“ Im Januar dieses Jahres, nur wenige Tage bevor die ersten amerikanischen Bomben auf Bagdad fielen, war er in den Irak gekommen, um mit seinen Freunden in einem Peace-Camp gegen diesen Krieg zu demonstrieren. Am vergangenen Wochenende sollten die Folgen dieses internationalen Feldzugs in einer bundesweiten Anhörung aufgearbeitet werden, „Im Namen des Volkes“ und zur Vorbereitung eines „War-Crime-Tribunals“ im kommenden Februar in New York.
Unser Friedenskämpfer, der seinen Namen nicht gedruckt sehen möchte, war nicht der einzige, der sich vorzeitig aus der zweitägigen Veranstaltung im Stuttgarter Hospitalhof in die nächste Kneipe verzog. Auch Ramsey Clark, der frühere amerikanische Justizminister und Initiator des „War-Crime-Tribunals“, der eigens nach Stuttgart gekommen war, um sich von deutschen Augenzeugen und Experten über deren Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Golfkrieg zu unterrichten, dürfte mit leeren Händen wieder abgezogen sein.
Der Anspruch der Veranstaltung und der gut fünfhundert Friedensbewegten, die gekommen waren, um nicht nur moralische, sondern auch justiziable Vorwürfe der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Völkerrecht durch die Alliierten zusammenzutragen, hatte sich nicht erfüllt. Ein Resümee über neue oder wenigstens gesicherte Erkenntnisse konnte denn auch das abschließende Podium nicht leisten. Statt dessen: Forderungen und Absichtserklärungen.
Mit einer Anklage vor dem amerikanischen Senat, so Ramsey Clark, solle der Präsident der Vereinigten Staaten im kommenden Jahr mit den amerikanischen Kriegsverbrechen im Golf konfrontiert werden. Darüber hinaus, so Clark, solle der UN- Sicherheitsrat abgeschafft werden, kleine Mitgliedstaaten der UNO sollen mehr Rechte erhalten, und die einflußreichen Mitglieder des Sicherheitsbündnisses daran gehindert werden, die Stimmen kleinerer Mitglieder für ihre Interessen „einzukaufen“. Presse- und Informationsmonopole, die im Golfkrieg eine objektive Berichterstattung verhindert hätten, müßten abgeschafft werden, forderte Clark. Alfred Mechtersheimer, der Leiter des „Friedenskomitees 2000“, forderte die Anwesenden auf, zur Abhaltung des Tribunals am 29.Februar kommenden Jahres nach New York zu kommen. Die Stuttgarter Veranstaltung, so Mechtersheimer, sei für ihn modellhaft für die Kooperation zwischen den „Kräften des guten und neuen Denkens“ und ihrer internationalen Kontakte. Der Weltfrieden habe im Krieg gegen Saddam Hussein mit dem Faustrecht begonnen, jetzt sei der Abbau aller Fremdstationierten in der Welt angesagt.
Für die israelische Rechtsanwältin und Trägerin des alternativen Nobelpreises, Felicia Langer, ist der Golfkrieg eine „kolossale Ablenkung von den tatsächlichen Problemen“ im Nahen Osten gewesen. Das ganze Gebiet, so ihre Forderung, müsse von ABC-Waffen befreit werden. Ein Monopol für Israel über solche Waffen sei nicht aufrechtzuerhalten, auch nicht unter dem Schutz der Amerikaner. Noch einmal wandte sich die prominente Verteidigerin der palästinensischen Rechte gegen Vorwürfe des einseitigen Pazifismus, der der deutschen Friedensbewegung während der Golfkrise gemacht wurde. Damit, so Frau Langer, seien gezielt deutsche Schuldgefühle mißbraucht worden. Die Folge des Golfkriegs, so Frau Langer, sei in Israel eine Stärkung der „Falken“, die ihr Land zu einer militärischen Weltmacht mit atomaren Waffen aufbauen wollten. Das aber sei nicht das Vermächtnis der Opfer des Holocaust.
Mit einem Gedenkgottesdienst zur Deportation europäischer Juden vor 50 Jahren und einem kulturellen Abend im Tübinger Landestheater ging die Veranstaltung der Gruppe „Kultur des Friedens“ am Sonntag zu Ende. Am heutigen Montag wollen die UNO-Mitgliedstaaten in New York über die Fortsetzung ihrer Boykottmaßnahmen gegen Irak beraten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen