: Füße auf den Schultern
■ Eduard Goldstücker (79), Kafkaforscher, Ex-Kommunist, über „Mein Judentum“
In den Domkapitelsaal zu Bremen war er zum Abschluß der Veranstaltungsreihe „Jüdische Kultur in Deutschland“ eingeladen worden. Das Thema „Mein Judentum“ war im Leben des beinahe 80jährigen Eduard Goldstücker eher ein Untergrundthema gewesen, dem er zu entkommen versuchte und das ihn nie verließ. Der Dorfjunge aus Podbiel in der Ostslowakei, außer arm auch noch jüdisch, war früh und leidenschaftlich Kommunist geworden, später berühmter Kafkaforscher, Organisator der Kafka- Konferenz 1963, während des Prager Frühlings Schriftstellerverbandspräsident,nach der Invasion 1968 zum zweiten Mal nach London emigriert, bis heute.
Den Bremer Vortrag über sein Judentum hielt er, manchmal frei, immer in flüssigem Deutsch, für das er um Nachsicht bat, „weil es nicht deutsch ist“: Eine ungarische Mutter, die noch innig fromm ist, ein Vater aus der Westslowakei, der schon lau ist, ein Kind, das von einem „Ersatzgroßvater“ wirkliche Frömmigkeit lernt. „Die dauerte bis zum 13. Lebenjahr.“
Dann wendet sich der Junge von einem Tag zum nächsten „anderen seriösen Befassungen zu, besonders Mädchen“ und Büchern, dann dem Zionismus, schließlich dem Kommunismus. Die Hinwendung von der „partikulären jüdischen zur allgemeinen Religion des Kommunismus“, richtig erklären kann er sie heute nicht. „Es ist die Tragödie meiner Generation, wie ich sie heute sehe.“
Was es heißt, wenn Goldstücker sagt, seine kommunistischen Genossen hätten ihn fast gehängt und „zurückgestoßen, woher ich komme“, hat er in seiner Autobiografie „Prozesse“ beschrieben. Goldstückers KP, 1948 scheinlegal an die alleinige Macht gekommen, preßt ihn 1951, im geheimen Scheinprozeß gegen den Generalskretär der Partei, Rudolf Slansky, auszusagen. Goldstücker, genauso Jude wie Slansky und dessen Mitangeklagte, legt ein auswendig gelerntes „Geständnis“ ab, das, wie andere, dazu dient, Slansky aufzuhängen, u.a. wegen „zionistischer Verschwörung“. Goldstücker selbst kriegt lebenslänglich und wird 1956, Chruschtschow hatte Tauwetter angeordnet, freigelassen.
Geblieben, sagte Goldstücker in Bremen, sei seine Versöhnung mit dem Wissen, von keiner nichtjüdischen Umgebung als voll dazugehörig betrachtet zu werden. Und das Wissen, daß der Mensch auf den Schultern seiner Vorfahren stehe, „ebenso wie er auf den eigenen Schultern die kleinen Füße der Kinder spürt.“ Uta Stolle
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