piwik no script img

Kraft der Komik

■ »Der Menschenfeind« von Molière in der Volksbühne

Alceste mag die Menschen aufgrund ihrer Unaufrichtigkeit nicht. Doch ausgerechnet er liebt Celimene, die in die Gesellschaftskreise der gelanten Halbwahrheiten verstrickt ist.

Durch die Rachsucht von Oronte, dessen Schmierverse Alceste beißend kritisiert hatte, gerät er in die Mühlen der Justiz. Obwohl er die Heuchelei von Celimene nicht zuletzt durch einen Brief, der ihm zugespielt wird (und den sie gleichzeitig vier anderen Verehrern schickte) aufdeckt, bittet er sie, mit ihm vor der Justiz zu flüchten. Doch Celimene kann oder will diesem Wunsch nicht nachkommen, und so bleibt für Alceste nur die Einsamkeit.

Der Bühnenraum in der Volksbühne ist mitternachtsblau und weit und offen. Das Spiel beginnt, indem sich Alceste (Horst Westphal) und Celimene (Claudia Michelsen) im Tauziehen mit dem orangeroten Vorhang messen. Nach diesem Auftakt jagen sich dann Slapstick-Einlagen mit komödiantischen Kabinettstückchen, unterbrochen von neuzeitlichen Texteinfügungen á la Castorf (zum Beispiel Beatles-Songs und ziemlich schwerfällige Stellungnahmen zur Frauenemanzipation), die wiederum gebrochen dann zum Text von Moliere zurückführen. So bleibt das Spiel bis zur Pause schnell, ideen- und abwechslungsreich, dabei immer komisch.

Nach der Pause zeigt sich dann der Hang zur Melancholie, und das tragische Element gewinnt die Oberhand. Die Technik wird durch die Drehbühne und den Einsatz der Lautsprecher in Bewegung gesetzt, die Brechungen werden zunehmend sinnentleerter. Zum Schluß sind die Hauptfiguren tot — aber nur um wieder aufzuerstehen und über das Theater an sich und überhaupt zu reden; dann noch ein Song, und die Schauspieler versuchen sich als Bühnenarbeiter.

Die Übersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens wirkt im Vergleich zu Weigel, Koester oder auch Strauß simpel gestrickt und flegelhaft, da eigentlich gar keine Derbheit zum Erreichen der Komik notwendig ist.

Bert Neumanns Bühnenbild verbindet Schauspielerfreundlichkeit mit kühler, zeitloser Ästhetik. In seinen Kostümen verwendet er Stilzitate von der Jahrwundertwende bis zur Gegenwart. Die Regie von Henry Hübchen mißtraut zu sehr der vorhandenen und ausreichenden komödiantischen Kraft aller Schauspieler als auch der Komik des Stückes; denn (die Technik der Brechung in allen Ehren) zumeist wirken die Einfügungen und Fremdtexte mehr als überflüssig. Und auch die Songs der Beatles lassen zwar einen Nachholbedarf im Osten erkennen, erinnern aber zu stark an die Theaterexperimente von Zadek und Co. in den siebziger Jahren.

Doch aller Kritik zum Trotz ist dieses Stück von Molière so vielsagend, ist das Spiel der Schauspieler so professionell und die Regieführung in der Komik so gelungen, daß man diesen Abend nur empfehlen kann. Einzig das Programmheft der Volksbühne läßt fehlende finanzielle wie dramaturgische Mittel erkennen und bewegt sich auf einem Niveau, das selbst Off-Theater schon überschritten haben. York Reich

Nächste Termine: Heute, am 7. und am 17.12. jeweils um 19.30 Uhr Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Platz in 1040 Berlin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen