: Eine späte Rückkehr nach Berlin
■ Die Fotografin Ellen, die Bert Brecht ein Licht aufgehen läßt — Ellen Auerbach in der Galerie Im Kabinett
In der heutigen Bilderschwemme sind es immer nur einige wenige Ausnahmen, die sich aufgrund ihres Themas, ihrer Schönheit oder Grausamkeit, ihrer Atmosphäre oder Komposition oder schlicht durch die subjektiven Assoziationen eines jeden einzelnen herausschälen, von unserem visuellen Gedächtnis gespeichert werden und so stets erinnerlich zu unserem Leben gehören. Wie Musik, die wir lieben, Gemälde, Landschaften oder Gesichter, die uns einmal fasziniert haben, begleiten sie uns.
Ellen Auerbachs Fotografien gehören zu diesen stillen Begleitern: Einige strahlen eine geradezu meditative Ruhe aus, wie das Bildnis eines chilenischen Indianerjungen, der mit verlorenem Blick unter dem Baldachin eines Baumes sitzt oder die Aufnahme eines traumhaften Spaziergangs durch die morgendlichen Nebel von Big Sur in Kalifornien. Andere wieder frappieren durch ihre Lebenslust — aber fast alle versuchen, zu der Wesenheit der Dinge vorzudringen, berühren uns durch die Würde und Wahrhaftigkeit des Dargestellten.
Die Kreuzberger Galerie IM KABINETT hat nun Ellen Auerbachs erste Einzelausstellung in Deutschland ausgerichtet — dem Land, in dem sie 1906 in Karlsruhe geboren wurde und das sie 1933 verließ, da sie nicht dort leben wollte, wo Menschen in Konzentrationslager deportiert wurden. Wie verlief nun dieses Leben, dieses Geflecht von Orten und Zeitläuften und das mit der Emigration einsetzende Nomadentum, in dem ihr fotografisches Werk entstanden ist?
Eigentlich will die junge Ellen Auerbach Bildhauerin werden. Als ihr zur Belohnung für eine besonders gelungene Skulptur vom »berühmten Onkel in Amerika« die erste 9x12-Kamera geschenkt wird, erhält die Fotografie den Vorrang. 1929 kommt sie nach Berlin, um dort Walter Peterhans um Aufnahme als seine Schülerin zu bitten. Als dieser sie fragt, was sie denn mit der Fotografie erreichen wolle, antwortet sie: »Ich möchte gerne wissen, ob ich die Menschenmassen, wenn sie an einem regnerischen Tag aus der Untergrundbahn strömen, fotografieren kann.« Peterhans' lapidare Antwort lautet: »Sie werden jedenfalls wissen, ob Sie es nicht können.« Peterhans vermittelt ihr in zwei oder drei bedeutenden Unterrichtsstunden die Eckpfeiler seiner fotografischen Philosophie: In höchst präzisen Arbeitsschritten die dem Medium Fotografie inhärenten technischen Möglichkeiten auszuschöpfen, wahrheitsgetreu und subtil zu sein, und nicht, um sensationeller Effekte willen, Ideen über Arbeiten zu stülpen, was er schlicht »intellektuelle Schweinereien« nennt.
Ihr technisches Wissen vervollkommnet Ellen Auerbach unter Mithilfe der zweiten Privatschülerin, Grete Stern, die Peterhans als Studentin zeitweilig an das Bauhaus in Dessau folgt. Gemeinsam leiten sie ab 1930 in Berlin unter ihren jugendlichen Spitznamen »ringl+pit« mit Peterhans' technischer Ausrüstung ein Studio für Werbefotografie. Da weder »ringl« noch »pit« großes kaufmännisches Talent entwickeln, führen selbst internationale Auszeichnungen und Publikationen ihrer Arbeiten, z.B. in der renommierten »Gebrauchsgraphik« oder in den »Cahiers d'Art« nicht zum erhofften Erfolg. Die erstaunlichen werbefotografischen Resultate jener Periode, beweisen über die technische Perfektion des Lehrmeisters hinaus visuellen Einfallsreichtum und ironischen Witz, zeigen von der konventionellen Werbefotografie jener Jahre unabhängige, moderne Konzeptionen. Eines der drei Beispiele für diese Arbeiten in der Ausstellung ist die »KOMOL«-Werbung, eine gegen den Strich gebürstete Anzeige für ein kosmetisches Produkt. Die eigenwillige Kombination von gefärbten Haarproben, Tinkturfläschchen, dem Papp- Profil einer Dame und der Typografie ist schon allein unüblich in einem Meer von Anzeigen, in denen Frauenbildnisse immer noch durch Retouche zu kleinen idealen Haushaltsgöttinnen aufpoliert wurden. Ellen Auerbach macht hier jedoch auf etwas aufmerksam. Entgegen heutigen Interpretationen, die »ringl+pit's« Reklameentwürfe gern als Ergebnisse der emanzipatorischen Willensanstrengungen zweier junger, ambitionierter Frauen in der Weimarer Republik deuten, seien sie eher im gemeinsamen Experimentieren, im Akt des intuitiven Blicks für besondere Kombinationen und Kompositionen von Ideen und Objekten, entstanden.
Mit der Emigration nach Palästina, 1933, erfolgt die Gründung des ersten Ateliers für Kinderfotografie in Tel Aviv unter dem Namen »Ishon« (»Augapfel«). In dieser Phase des Umgangs mit schwer kontrollierbaren und äußerst lebendigen Motiven vor der Kamera, lernt Ellen Auerbach, daß es neben dem technischen Perfektionismus auch noch andere Gesichtspunkte in der Fotografie gibt. Sie beginnt, sich von dem, wie sie es selbst nennt, »Peterhans-Syndrom« zu befreien und ihre eigene Philosophie zu formulieren. Zwar muß die Fotografie als Kunst zu ihrem eigenen Recht stehen und unabhängig von anderen Künsten wie der Malerei sein, diese Wahrheitstreue sollte jedoch zur Wesenheit der Dinge führen, zu einer Authentizität des Dargestellten, die nicht von technischer Brillanz abhängig ist. In diesem idealistischen Ansatz zur Fotografie ist sie dem von ihr bewunderten Henri Cartier-Bresson sehr nahe, für den die Technik auch eine eher untergeordnete Rolle spielt. Dieser Idealismus ermöglicht es Ellen Auerbach, in solch verschiedenen Genres wie der Natur- oder Milieustudie, der Dokumentarfotografie und sogar in der wissenschaftlichen Nutzung des Mediums zur psychologischen Analyse von kleinkindlichen Bewegungsabläufen gleichermaßen wahrhaftige und anrührende Aufnahmen herzustellen.
Als sie 1936 nach London übersiedelt und für kurze Zeit wieder professionell mit Grete Stern vereint ist, entsteht auch auf dem Gebiet der Portraitfotografie Erstaunliches. In einer zufälligen Kreuzung von Emigrantenodysseen kommt es zu einer Begegnung mit Bertolt Brecht. Selten ist der Meister wohl so intim fotografiert worden: beim Rasieren oder beim konzentrierten Arbeiten an der Schreibmaschine, wo — aus heute für Ellen Auerbach unerklärlichen Gründen — eine Glühbirne direkt über dem genialen Kopf zum Symbol der Erleuchtung wird.
Europa 1937 endgültig hinter sich lassend, nimmt sie in den USA verschiedenste fotografische Tätigkeiten auf, experimentiert mit Ultraviolett- und Farbverfahren, arbeitet als »freelancer« und beschäftigt sich mit dem Medium Film. Ausgedehnte Reisen führen Ellen Auerbach nach dem Krieg nach Südamerika und Europa, wo zahlreiche Landschafts- und Menschenbilder entstehen. Zwischen den Jahren 1955 und 1956 schließlich beginnt sie gemeinsam mit dem Fotografen Eliot Porter eine fünfmonatige Reise durch Mexiko zur Dokumentation von Kirchen, Ikonen des religiösen Lebens und Volksfesten — einige wenige Beispiele werden in der Galerie IM KABINETT präsentiert.
Nach wachsendem Interesse an esoterischen, psychologischen und pädagogischen Problemen — dies schließt, um nur eine Begebenheit zu nennen, den Besuch der Seminare des berühmten Zen-Philosophen Suzuki im New York der späten fünfziger Jahre ein — stellt sich Ellen Auerbach, fast 60jährig, professionell noch einmal völlig um. Zwischen 1965 und 1984 ist sie pädagogische Therapeutin für lernbehinderte und schwer erziehbare Kinder und Jugendliche in New York. In der City lebt sie heute noch, macht die Vergrößerungen ihrer Arbeiten in der Dunkelkammer selbst und arrangiert »ringl+pits« und die eigenen Ausstellungen. Jeannine Fiedler
Ausstellung in der Galerie IM KABINETT, Solmsstraße 30, 1 Berlin 61, bis zum 21. Januar 1992
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