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Gemeinsames Sorgerecht funktioniert nur freiwillig

Der Verband Alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) plädiert für eine differenzierte Betrachtung. Juristische Entscheidungen können die Problematik, die in der Beziehung zweier Menschen liegt, nicht lösen.  ■ Von Edith Weiser

Die Diskussion um das gemeinsame Sorgerecht nimmt einen großen Raum in Fachkreisen, aber auch unter PolitikerInnen und im VAMV, ein. Allen Kreisen ist der hitzige Ton, das emotional aufgeheizte Klima gemeinsam.

In einer Arbeitsgruppe bei der VAMV-Bundesdelegiertenversammlung wurde das gemeinsame Sorgerecht positiv gesehen. Allerdings kann es nur dann funktionieren, wenn es von beiden Elternteilen freiwillig gewünscht und getragen wird. Der VAMV fordert daher, daß es kein gemeinsames Sorgerecht als Regelfall nach der Scheidung gibt. Eine juristische Entscheidung kann eine Problematik, die in der Beziehung zweier Menschen liegt, nicht lösen.

Damit sich die Gemüter der alleinerziehenden Väter nicht erhitzen, möchte ich betonen, daß sie täglich beweisen, daß es auch anders geht. Wenn ich also von Müttern und ihren Kindern spreche, so meine ich damit den gesellschaftlichen Regelfall.

Der Begriff „gemeinsame elterliche Verantwortung“ wird häufig dem gemeinsamen Sorgerecht gleichgesetzt. Dies ist aber falsch. Die „gemeinsame elterliche Verantwortung“ drückt aus, daß Eltern auch nach der Trennung Entscheidungen gemeinsam zum Wohle des Kindes treffen, daß auf beiden Seiten ein Interesse am Kind bestehen bleibt. Auch die Frage des Sorgerechts, die Intensität der Kontakte des Elternteils, das nicht mit dem Kind lebt, gehört zu dem Themenkomplex.

Das gemeinsame Sorgerecht dagegen ist ein juristischer Tatbestand, das heißt beide Eltern sind vertretungsberechtigt, müssen ihre Einwilligung zum Beispiel bei Operationen geben, entscheiden über die Schule, die Lehrstelle etc. Selbstverständlich ist auch damit gemeint, daß beide die Sorge um das Kind behalten. Was das aus meiner Sicht bedeutet, werde ich später noch ausführen.

Prof.Fthenakis (Direktor des Staatsinstituts für Frühpädagogik und Familienforschung, München), Verfechter des gemeinsamen Sorgerechts, kommt „nach fünfzehn Jahren der Beschäftigung mit zerrütteten Familien, gestörten Kindern und frustrierten, nicht sorgeberechtigten Vätern zu dem Ergebnis: Wenn wir wollen, daß den Kindern in einer solch schwierigen Situation geholfen wird, dann bedeutet das, die Beziehungen zu dem nicht sorgeberechtigten Elternteil lebendig zu gestalten und zu fördern.“ Weiterhin sagt er: „Die familialen Strukturen ändern sich tiefgreifend, lösen sich aber nicht auf.“

Gestützt auf seine Langzeitstudie kommt er zu dem Ergebnis, daß „Kinder aus geschiedenen Ein-Eltern-Familien, die eine für alle Familienmitglieder befriedigende Reorganisation (Neuordnung/Neugestaltung) des familialen Systems erreichen konnten, vielfach ein höheres Maß an Selbstwertgefühl, Selbstverantwortung und positivem Sozialverhalten aufweisen als Kinder aus vollständigen Familien“. Auf einer Fachtagung betonte er noch einmal seine These: „Trennung ist eine der möglichen Phasen in einer Familie, ihre Auflösung erfolgt nicht. Sie existiert in veränderter Form weiter.“

Dies ist aus meiner Sicht falsch. Richtig ist, daß sich die Familie als Institution im Rahmen der Neukonstituierung der Ein-Eltern-Familie nicht auflöst. Für das Kind und die betreuende Person entsteht aber eine neue Familie. Die Familie unter dem alten Vorzeichen existiert nicht mehr.

Auch Prof.Rosemarie Mave-Herz (Direktorin des Instituts Frau und Gesellschaft, Hannover) vertritt die Meinung, daß die Ehescheidung nur eine Vertragskündigung der Ehepartner sei. Die Familie bleibt, wenn auch unvollständig, bestehen.

Beide Einstellungen suggerieren meiner Ansicht nach, daß die Vollständigkeit (in der Regel bestehen ja Mutter-Kind-Familien) erst durch den Vater gegeben wird. Er braucht weder regelmäßig noch ausreichend Unterhalt zu zahlen, es genügt, seine Vaterverantwortung durch gelegentliche Kontakte wahrzunehmen. Der Zeitpunkt und den Umgang bestimmt sein Terminkalender, seine berufliche Karriere.

Diese abwesenden Väter werden meiner Erfahrung nach zu einem Ideal aufgebaut, das nichts mit der Realität gemeinsam hat. In meinen therapeutischen Ausbildungen habe ich nur zu häufig zu sehen bekommen, wie die Kinder, überwiegend die Mädchen, auf ihren Vater gewartet und darunter schmerzlich gelitten haben. Weil sich der wirkliche Vater in ihrem Leben rar machte, haben sie das Idol des gütigen, gerechten, nur für sie lebenden Vaters in ihrer Erinnerung eingeschlossen. Dafür kämpfen sie jedoch täglich mit der grenzsetzenden Mutter, die den Alltag mit ihnen bestreitet, ja Konkurrentin um die Gunst und die Zeit des geliebten Vaters ist.

Mit sehr viel Wut findet heute die Auseinandersetzung in der Therapie mit diesen Vätern statt. Ein Vater, der nie für ihre Probleme Zeit hatte, der sich nicht erkennbar für sie interessierte, der sein Leben gelebt hat. Für mich resultiert daraus, daß es sinnvoller ist, ein Kind in seiner Trauer um den verlorenen Vater zu begleiten und die Verlassenheit ernstzunehmen, als 20 oder 30 Jahre später diese Trauer in Therapien zu bearbeiten.

Dieses Beispiel macht meiner Meinung nach die Gefahren eines gemeinsamen Sorgrechts (das von der Mutter nicht gewollt ist) sehr deutlich.

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