: Heinrich Fink-betr.: "Verteidigungsrituale" (Der Rektor der Humboldt-Uni will kein Stasi-Mitarbeiter gewesen sein), Kommentar von Wolfgang Gast, taz vom 28.11.91
betr.: „Verteidigungsrituale“, (Der Rektor der Humboldt-Uni will kein Stasi-Mitarbeiter gewesen sein), Kommentar von Wolfgang Gast, taz vom 28.11.91
Heinrich Fink war und ist eine Zentralfigur der 89er Wende. Seine persönliche Integrität, die Bereitschaft zuzuhören und zu vergeben und der Wille, die „Erneuerung von innen“ zu forcieren sind die eine Seite seines Charakters. Die Kooperation mit den Mächtigen in einer Diktatur zum Abwenden größeren Unheils“ ist die andere Seite seiner Persönlichkeit. Keine Radikalität, keine Pauschalisierung — dafür stand und steht er.
[...] Persönliches Zögern und Resistenz des „alten Apparates“ sind im Zusammenspiel tödlich für jede Art von radikaler Wende. Die Verstrickung Finks in die Diktatur, gepaart mit seinem ehrlichen Eintreten für den Menschen zeigt nur, daß pauschale Urteile über Stasi-Mitarbeiter der „DDR-Realität“ nicht gerecht werden. Mag man es Wolfgang Gast, Götz Aly und anderen ihrer Unwissenheit anlasten, wir wissen es besser. Nicht jeder Stasi-Mitarbeiter war ein Spitzel, Denunziant oder gar Folterknecht, wie manche es wissen wollen. Die Fälle der Herren Brie, Fink und Jansch zeigen doch, daß zwischen Widerstand und Anpassung bis hin zur Kooperation keine unüberbrückbare Kluft ist. Wer offen Widerstand anzeigte, mußte mit den Herrschenden rechnen. „Widerstand“ ist relativ, nicht zwangsläufig radikal. Wer in der DDR bleiben wollte und trotzdem gegen die SED- Herrschaft aufmuckte, der war in diesem Netz gefangen. [...]
Die moralische Vorverurteilung von Stasi-Mitarbeitern, das praktische Berufsverbot und die damit verbundene Ausgrenzung vieler Menschen, sind sowohl ein Armutszeugnis, als auch eine Gefahr für unsere Gesellschaft. Hier werden Menschen zerstört, ungeachtet dessen, ob sie wirklich anderen Menschen Leid zugefügt haben. Viele IM werden keine Angst vor Opfer haben müssen, weil es sie nicht gibt. Wer Reiseberichte oder gar Proteste gegen das SED-Regime kundtat, hat keine Angst vor Opfern, aber vor Richtern. Die Aktenlage ist tatsächlich unklar, Herr Gast. Vernichtete Akten, Akten ohne Wissen des Betroffenen — all das hat es gegeben. Offiziere des MfS haben zugegeben, daß es Fälle von „fiktiven Akten“ gegeben hat. Das Plansoll (mindestens fünf IM pro Offizier) zwang beziehungsweise verleitete dazu. Akten ohne Berichte der sogenannten „Spitzel“, ohne Verpflichtungserklärung gibt es doch zuhauf. Es gibt keine Beweise dafür, aber gewichtige Indizien.
Der Rechtstaat versagt hier zweierlei: Die Beweislast in solchen Fällen liegt beim Beschuldigten, nicht bei der Behörde. Die öffentliche Vorverurteilung ohne Gerichtsverfahren ist der Alltag.
[...] Selbst wenn Herr Fink als „IM“ durch die Gauck-Behörde „enttarnt“ wird, so steht der Rektor für die DDR-Geschichte, auch für meine. Sven Martin, (Ost-)Berlin
Die taz scheint von ihrer Gewohnheit abzukommen, immer erst zwei Tage später auf Ereignisse zu reagieren als andere Zeitungen. Seit heute ist sie mir zu schnell.
Als Studentin der Humboldt-Uni, die sich keinesfalls vom Charisma des Heinrich Fink hypnotisiert sieht, mag ich unseren Rektor auch. Aber Wolfgang Gast mag ich nicht. Dieser Mensch scheint den Rektor nicht, geschweige denn die Universität zu kennen. Er stellt Fink neben eine Reihe von Leuten, die immer noch auf ihren Posten hocken, obwohl sie bei der Stasi waren. Aber diese anderen Leute eint eines: Sie klammerten sich flugs an das nächste System, ohne Fragen zu stellen (siehe de Maizière) und machten sich zu seinen Vertretern.
Fink ist da doch sehr anderer Natur, ihm gilt eine eidesstattliche Erklärung noch als solche, aber die scheint Wolfgang Gast ja nicht mal zur Kenntnis genommen zu haben. Wenn er sich nämlich wirklich mal die Mühe gemacht hätte, die Erklärung des Rektors zu lesen, so wüßte er auch mehr über die „zwangsläufigen Kontakte“. Nach meinem Rechtsverständnis muß die Anklage die Schuld eines Angeklagten erweisen, nicht dieser seine Unschuld.
Die ganzen Umstände und der Zeitpunkt sind mir schon Hinweise genug, um zu ahnen, was dahinter steckt: 1.Wahl eines senatstreuen Rektors, 2.Überstülpung des Hochschulrahmengesetzes, was die Vernichtung der selbstgeschaffenen Strukturen bedeutet, 3.und mit all diesem die Uni zu einer schlaffen Imitation der West-Unis zu machen, an denen doch kein großes Engagement mehr mehr spüren ist. [...] Beate Schreiber, (Ost-)Berlin
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