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Im „Paradies“ wird seit 25 Wochen gestreikt

Der längste Streik in der Geschichte der Republik findet im Bayerischen Wald statt/ Seit 17. Juni kämpfen Steinmetze gegen Akkordlohnkürzungen/ Die Steinbruchbesitzer geben den Druck an die Politiker weiter und bleiben hart wie Granit  ■ Aus Passau Bernd Siegler

„Riesige Wälder, anmutige Täler, geheimnisvolle Seen und urwüchsige Natur, wohin der Wanderer seinen Fuß setzt.“ Mit diesen Slogans lockt das Fremdenverkehrsgewerbe Jahr für Jahr Tausende von Touristen in den Bayerischen Wald, die dort Erholung suchen sollen.

Die beschauliche Ruhe, die den Reisenden erfreut, ist im Herzen der Wälder um Passau schon lange vorbei. In den Wirtshäusern gibt es nur ein Thema, auf der Stirn der Bürgermeister der ansässigen Gemeinden mehren sich die Sorgenfalten: seit 24 Wochen streiken etwa vierhundert Arbeiter der Granitindustrie und wehren sich gegen Akkordlohnkürzungen. Ende und auch Folgen des mit Abstand längsten Arbeitskampfes, den es in der Bundesrepublik je gegeben hat, sind noch nicht abzusehen. Seit Anfang September finden überhaupt keine Verhandlungen mehr statt.

Jeden Morgen um sechs Uhr ziehen in den Granitbrüchen die Streikposten auf, reichlich ausgestattet mit Thermosflaschen voll von Tee mit Rum. Dann geht's in eines der vier Streiklokale und abschließend wieder nach Hause. Der Streik ist zur Normalität geworden, lediglich in der heißen Phase Ende Juni hat es tätliche Auseinandersetzungen zwischen Streikposten und -brechern gegeben. „Der Dauerstreik ist eine bitterböse Sache für die ganze Region hier“, beklagt sich der 60jährige Josef Wax, Bürgermeister der 3.600 Einwohner zählenden Gemeinde Fürstenstein mitten im Dreiburgenland. Der Sägewerksbesitzer, der der CSU den Rücken gekehrt hat, befürchtet Gewerbesteuerausfälle und Arbeitsplatzverluste. Drei Betriebe der Granitindustrie werden in Fürstenberg bestreikt, davon sind etwa zweihundert Arbeitsplätze berührt.

Einer der betroffenen Betriebe gehört Josef Kusser, dem Vorsitzenden der Fachabteilung Granit im Bayerischen Industrieverband Steine und Erden. Kusser, genannt „Pepperl“, ist der Branchenführer und Hardliner in der Tarifauseinandersetzung. Seine Steinbrüche heißen zwar malerisch „Paradies“ oder „Höhenberg“, mit seinen Arbeitgeberkollegen hat der „Pepperl“ einen für die Granitler wenig erfreulichen Plan ausgeheckt: Nämlich die Löhne der sogenannten Stundenlöhner unter den Steinmetzen um 9,3 Prozent aufzustocken und im Gegenzug jedoch die Akkordlöhne um zwanzig bis dreißig Prozent zu senken. Die einfach erscheinende Rechnung, beide Arbeitnehmergruppen damit gegeneinander auszuspielen, ging jedoch nicht auf. Seit 17. Juni werden zehn Granitbetriebe von Akkordlern und Stundenlöhnern gemeinsam bestreikt. Das Votum von 94 Prozent bei der letzten Urabstimmung in der zwölften Streikwoche war eindeutig.

Etwa 55 Prozent der im Streik stehenden Arbeiter sind sogenannte „Akkordler“. Sie brechen aus dem Granit die Bord- und Leistensteine und verarbeiten den Stein mit Hydraulikhämmern zu Kopfsteinpflaster — im Akkord. Seit Jahren wurden die Akkordsätze im jeweiligen Betrieb direkt mit dem Unternehmer ausgehandelt — von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Jetzt sind sich die Arbeitgeber plötzlich einig. Sie wollen mit Akkordkürzungen Subventionsstreichungen auffangen. So fällt zum Ende des Jahres im Zuge der deutschen Einigung zu Beispiel die Grenzlandförderung ersatzlos weg. Die bisherigen Frachtbeihilfen zum Ausgleich des schlechten Standorts und die sogenannte Präferenzregelung, in der bei öffentlichen Bauaufträgen eine Abnahmegarantie für heimischen Granit festgelegt war, sollen gegen EG-Recht verstoßen und wurden bereits abgeschafft.

Matthias Kirchner, Sekretär der IG Bau Steine Erden, glaubt, daß die Arbeitgeber den Streik als Druckmittel auf die Bundesregierung und den Freistaat Bayern nutzen wollen, um die Subventionskürzung wieder rückgängig zu machen. „Ich habe den begründeten Verdacht, daß die überhaupt kein Interesse an Verhandlungen haben“, betont er und erinnert daran, daß die letzte Verhandlungsrunde der streikenden Parteien am 5. September war. Selbst ein entsprechender Appell zur Rückkehr an den Verhandlungstisch von fünf Bürgermeistern der betroffenen Gemeinden um Fürstenberg und Tittling blieb ohne Ergebnis. Die Granitler schenken auch dem Jammern der Granitunternehmer, daß ihnen Billigexporte aus der CSFR das Geschäft verhageln würden, keinen Glauben. Viele haben es mit eigenen Augen gesehen, wie Granitunternehmer aus dem Bayerischen Wald selbst Billigware aus der CSFR herantransportieren, diese dann mit heimischen Granit mischen und als „edlen, reinen Bayerwaldgranit“ verkaufen. „Nicht überall wo Bayerwald drauf steht ist auch Bayerwald drin“, lautet denn auch ein Transparent, daß die Streikenden bei Kundgebungen mit sich führen.

„Die Streikbereitschaft ist ungebrochen, die Stimmung ist gut“, verbreitet Manfred Himpsl, Betriebsratsvorsitzender im Kusser-Betrieb in Aicha, auch nach der 25. Woche Optimismus. Die Streikkasse sei ebenfalls noch gut gefüllt, auf dem BSE-Gewerkschaftstag Ende September wurden die Granitler aus dem Bayerischen Wald mit stehenden Ovationen empfangen. Der Gewerkschaft geht es schließlich auch ums Prinzip. „Wir dürfen nicht zulassen, daß dieses Beispiel Schule macht“, lautet die Devise von Gewerkschaftssekretär Kirchner.

Für Manfred Himpsl geht es darum, daß sich die Knochenarbeit im Steinbruch mit Begleiterscheinungen wie Staublunge, Bandscheiben-, Augen- oder Gehörschäden, wenigstens nicht in Kürzungen im Geldbeutel niederschlägt. Daß die 'BILD‘-Zeitung die Granitler als „Sturschädel“ bezeichnet hat, stört ihn nicht. Solche Kürzungen könne man sich einfach nicht bieten lassen. „Wenn wir jetzt den Streik abbrechen würden, wären wir ja die Dümmsten“, betonen unisono die Granitler und stellen sich auf einen Arbeitskampf ein, der weit ins nächste Jahr hineinreicht.

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