Krawtschuk muß nun sagen, was er will

■ Die unabhängige Ukraine benötigt stabile Wirtschaftsbeziehungen vor allem mit Rußland: Beide Länder sind aufeinander angewiesen/ Anerkennung durch den Westen winkt nur bei Schuldenrückzahlung

Monatelang sind die ukrainischen Wirtschaftspolitiker im Dnjepr auf Tauchstation gegangen, wenn es um das zukünftige Verhältnis zu den anderen Republiken und zur Zentrale ging. Gleich drei Fragen wird der neue ukrainische Staatschef Leonid Krawtschuk jetzt schnell beantworten müssen: Wie soll zukünftig der Außenhandel zwischen der Ukraine und Rußland aussehen? Wann werden die „sowjet-russischen“ Rubel durch die ukrainischen Grivny ersetzt? Und wie stellt sich die Ukraine die Rückzahlung der sowjetischen Auslandsschulden vor?

Zur Aufrechterhaltung — oder: zur Wiederherstellung — der Lieferbeziehungen zwischen den beiden miteinander verflochtenen Ökonomien gibt es auf absehbare Zeit keine Alternative. Während im Devisen- Ausland kein sonderlicher Bedarf an russischen oder ukrainischen Industrieprodukten herrscht, werden sie in den beiden Ländern dringend gebraucht. Hunderttausende von Arbeitsplätzen zu beiden Seiten der Grenze — genaue Zahlen sind nicht bekannt — hängen davon unmittelbar ab. Und wie bei einer Kettenreaktion würde sich eine Behinderung des Handels nicht nur in einzelnen Branchen bemerkbar machen; schon jetzt sind die Lieferausfälle bis in die verarbeitende Industrie hinein spürbar.

Über die Einführung des Grivna wird der gemeinsame Währungsraum zerbrechen. Zwar ist zunächst mit einem festen Wechselkurs zwischen Rubel und Grivna zu rechnen, doch er wird nicht lange aufrechtzuerhalten sein. Zum einen ist es unwahrscheinlich, daß sich die Zentralbanken in Kiew und Moskau auf die gleiche Geschwindigkeit beim Gelddrucken einigen werden. Ist aber eine von ihnen in der Inflationsbekämpfung erfolgreicher, steigt der Wert dieser Währung, und flugs — Know-how dürfte dafür hinreichend vorhanden sein — bilden sich die entsprechenden Schwarzmärkte. Zum anderen scheint die Ukraine über eine mindestens ausgeglichene Handelsbilanz zu verfügen, wenn sie nicht gar Netto-Exporteur ist — was die Währung weiter stärkt. Klaffen aber die Inflationsraten auseinander und beginnt der Rubel abzurutschen, müssen neue Wechselkurse festgelegt werden. Dann sind auch die Preise längst freigegeben — und die Kalkulationen in den russischen wie ukrainischen Betrieben werden damit zum Vabanque-Spiel.

Beide Seiten sind also darauf angewiesen, miteinander über die künftigen wirtschaftlichen Beziehungen zu verhandeln. Leonid Krawtschuk ist dabei in einer etwas besseren Situation als Boris Jelzin, weil viel dafür spricht, daß die Ukraine im Vergleich zu Rußland besser mit der Krise fertig wird. Krawtschuk kann zugleich wählen, ob er erneut mit den anderen Republiken um die Streitpunkte des Unions- und Wirtschaftsvertrages streitet, ob er mit den Unterzeichnerstaaten gemeinsam verhandeln oder die Wirtschaftsgespräche bilateral, also vor allem mit Rußland, führen will.

Vergleichsweise überschaubar sind dagegen seine Optionen bei der Rückzahlung der sowjetischen Auslandsschulden. Hier hat die Ukraine nur zwei Möglichkeiten. Sie kann sich an der Regulierung über die Außenwirtschaftsbank in Moskau beteiligen, oder es gelingt ihr, getrennte Verhandlungen mit den westlichen Industrieländern (G-7) zustande zu bringen. Unrealistisch sind zwei weitere Varianten: daß Rußland den ukrainischen Schuldenanteil übernimmt oder daß eine zahlungsunwillige Ukraine künftig auf West-Anerkennung und -Kredite verzichtet. Dietmar Bartz