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Ein Dekomponist

■ Mathias Spahlinger, Komponist, über staatstragende Pinguine u.a. / Konzert und mehr am Wochenend

Am Wochenende kommt der Komponist und Kompositionslehrer Mathias Spahlinger auf Einladung von Dacapo nach Bremen.

taz: Am Wochenende wird Mathias Spahlinger über den Komponisten Mathias Spahlinger sprechen — was für Musik komponiert dieser Mann, der mit 15 Jahren noch Jazzmusiker werden wollte?

Mathias Spahlinger: Neue E-Musik, unter Fortsetzung der Traditionslinien der europäischen Avantgarde. Das sagt aber nicht viel, weil die Konzert-Avantgarde immer suspekt war. 1950 konnte man noch glauben, daß Zentraleuropa die Speerspitze des Fortschritts stellt, daß man auch seine Avantgarde-Musik in 100 Jahren auf der Straße pfeift, überall auf der Welt. Das hat sich Gottseidank gründlich gewandelt. Ich hab das nie lupenrein vertreten: Ich hab als Jüngling Jazz gemacht (und mach das heut' noch heimlich, oder unheimlich). Heute ist das ein musikalischer Soziolekt unter anderen. Ich erwarte viel von der Peripherie.

Wo liegt die?

In den Ländern, die unter der europäischen Kolonisation zu leiden haben. Es gibt kein Land auf der Welt, in dem nicht die europäische Musik dominiert im Konzertleben!

Eine Ihrer Kompositionsabsichten ist, Ordnungsprinzipien zu „dekomponieren“. Welche? Und was kommt danach?

Es gilt, die eigenen Konventionen nicht nur außer Kraft zu setzen, sondern bestimmt zu negieren, und keine positiven neue Konvention an ihre Stelle zu setzen. „Anything goes“ — das läßt sich eben nicht einspannen für reaktionäre Tendenzen — alles geht, aber nicht, was eine neue Konvention etablieren oder eine alte restaurieren will.

Zum Beispiel Tonreihen...

Mir erscheint die Zwölftontechnik geradezu dazu erfunden, zu verhindern, daß sich konventionelle, syntaktische Harmonik wieder einschleicht. Die Zwölftonreihe wird als Zusammenhang an der Oberfläche nicht erkannt.

Deshalb kommt das gesellschaftliche Abseits der neuen Musik nicht aus Zufall oder dem Individualismus der Künstler, sondern: alle Konventionen, die auseinander hervorgegangen waren, sind da abgeschafft zugunsten ihrer Negation.

Wenn Sie komponieren, beziehen Sie Ihre Anlässe aus dem wirklichen Leben?

(lacht). Eine taz-Frage! Das gibt es tatsächlich, aber das geht an der Sache vorbei. Was ist denn 'wirklicher': die Realpolitik der Irren an der Macht, oder der Versuch, musikalische Konzepte zu entwickeln? Wir kommen der Wirklichkeit vielleicht dann am nächsten, wenn wir ins Kalkül ziehen, wieviel unsere Kategorien bei der Betrachtung von Wirklichkeit hinzutun! Die bisherigen Systeme haben definiert, was Material ist und zum Werk gehören kann — und was nicht. Deshalb bin ich gegen geschlossene Systeme und dafür, daß die Kategorien dauernd wechseln!

Sie führen in Bremen nicht nur Ihr Stück auf, sondern machen einen Workshop mit dem Londoner Arditti-Quartett. Weil man solche Musik, pur, ohne Sprache, gar nicht versteht?

Das ist gar kein wunder Punkt! Es spricht nicht gegen Neue Musik, daß sie kommentarbedürftig ist, weil das frühere Verhältnis, daß man Musik am besten als Antwort auf Musik versteht, zugleich auch noch gilt. Wo keine neue Konvention etabliert wird, kann ein Kommentar nichts schaden.

Haben Sie Lieblingsinstrumente für Ihre Absichten? Bei Streichern ist ja die Unwägbarkeit der Musiker, also ihre Freiheit, viel größer als bei dem Klavier.

Lieblingsinstrumente? Nein.

Sie finden die Ordnung eines Streichquartetts vor, den 1. Geiger. Komponieren Sie das mit ein?

Das Streichquartett im Frack, familiär offen vorn und Pinguin- Frackschöße hinten, staatstragend, so eine Mischung aus Oberkellner und Ministerpräsident ... das ist die Erscheinungsform, die das emanziperte Bürgertum seiner autonomen Musik gibt. Diese 'vier vernünftigen Leute', dieses 'sich als verwirklicht anschauende revolutionäre Bewußtsein', ist Chance und Schwäche der Besetzung: Sie können alles nicht darstellen, was ein bißchen plebejisch, mißlungen oder auch nur vulgär ist: eine esoterische Aura.

Akzeptieren Sie die Ordnung, die Hierarchie des Quartetts?

Das wird man der Musik anhören. Ich glaube — nicht. (lacht). Fragen: Susanne Paas

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