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Der Zauberer meldet sich nicht mehr

■ “Oos“ — Ein doppeltes Spiel in der Schauburg

hierhin bitte das

Foto von dem

angeschnallten Arm

Das Stück ist ein Stück im Stück. Wie das Mädchen mit der Kakaoschachtel in der Hand auf der Kakaoschachtel. Immer wieder ein hübscher Effekt. Also das äußere, das neue Stück „Oos“. Die Bühne in der Schauburg ist karg und kalt: eine Zelle in der Psychiatrie. Auf einem Eisenbett liegt ein Mädchen, spielt selbstvergessen mit seinen Füßen. So beginnt das Spiel. Inszeniert hat es Jochen Biganzoli mit dem Ensemble, welches letztjahrs schon im Schlachthof das „Gauklermärchen“ herausgebracht hat.

Neben dem Mädchen im Rollstuhl ein Idiot: hängender Kopf, stierer Blick. Im anderen Bett: ein Wesen (Mann? Frau?), das, wie die Löwen im Zoo, die immergleiche Bewegung macht — aufstehen, rechtsrum, zwei Schritte nach vorn, wieder retour, hinsetzen. Im vierten Bett: ein Mann, an allen Vieren festgeschnallt. Man wird sie morgen, stellt sich heraus, für ein medizinisches Experiment mißbrauchen.

Nachts, unbeobachtet, holt das Mädchen unter der Matratze ein paar zerlesene Seiten hervor — aus dem „Zauberer von Oos“. Und jetzt kommt ein doppeltes Stück über die Macht der Phantasie. Das junge Mädchen, Dorothe wie das Mädchen im „Zauberer von Oos“ (Karin Schroeder), beginnt vorzulesen — und das sonderbare Wesen, das sich nach Löwenart gebärdet hat, bekommt menschliche Züge: Franziska (Ellen Brandstetter). Sie hört zu. Sie spielt mit. Neben ihnen, der Idiot im Rollstuhl, Mario (Jan Fritsch), wird plötzlich lebendig: und zieht unter seiner Decke — ein Saxophon hervor. Und plötz

lich also kommen Puppen aus den Puppen: Aus der angstvollen Frau, wird der Löwe, der sich Mut wünscht; aus dem stumpfen Idioten eine Vogelscheuche, die sich Verstand wünscht; aus dem gefühlskalten Mann einer aus Blech, der sich ein Herz wünscht.

Nur Dorothe ist Dorothe, das Mädchen, das nach Hause will. Über das Spiel im Spiel vergessen

Puppen in den Puppen

die vier, daß sie in dieser Zelle eingesperrt sind - bis sie über Lautsprecher daran erinnert werden. Wo vom Zauberer von Oos keine Hilfe zu erwarten ist, müssen sie sich selber helfen. Und nun wird aus dem Spiel — Ernst? Doppeltes Spiel? Die vier versuchen den Ausbruch.

Und weil auch die Puppe um die Puppe herum ein Märchen ist, gelingt er doppelt: aus ihrer Verpuppung und aus der Zelle. Zwei Stücke in einem. Aber was ist in dem äußeren, dem neuen, was nicht schon im inneren gewesen wäre? Warum die Doppelung? Braucht das Märchen Psychiatrie-, d.h. Gesellschaftskritik? Oder ist das einfach ein Griff in die Theatertrickkiste des armen, kleinen, freien Theaters, das auf diese Weise die ganze Ausstaffierungsorgie, die wir vom „Zauberer von Oos“ zu Weihnachten kennen, geschickt umgehen kann? Nehmen wir's so. Vor allem Ellen Brandstetters intensives Spiel und Jan Frisch's suggestive Musik ziehen uns in ihren Bann. Christine Spiess

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