: Vier harte autofreie Wochen
■ Teilnehmer der Greenpeace-Aktion »Freiwillig stillgelegt« diskutierten ihre Erfahrungen/ Noch ist nicht klar, wie viele jetzt wieder ins Auto einsteigen
Berlin. 200 Berliner Autofahrer ließen im November im Rahmen einer bundesweiten Greenpeace-Aktion freiwillig ihr Auto stehen — bundesweit waren es 5.000. Jeder und jede von ihnen bekam für den autofreien Monat ein Tagebuch von den Veranstaltern überreicht, in das er seine Erlebnisse und Eindrücke eintragen sollte. Bei der Abschlußveranstaltung am Montag abend diskutierten einige Teilnehmer der Aktion »Freiwillig stillgelegt« ihre Erfahrungen und mögliche Konsequenzen.
Schwierigkeiten hatten wohl alle, die gewohnten Wege ohne fahrbaren Untersatz zu erledigen. »Schadet sowas nicht dem Motor?« fragte ein Teilnehmer, der seinen Erlebnisbericht vorlas. Er wollte ihn wenigstens »mal warmlaufen lassen«. Aus dem geplanten Besuch der Mutter zu ihrem Geburtstag wurde nichts — sie wohnt 300 Kilometer von Berlin entfernt. Außerdem stellte er fest, »daß ich viel weniger einkaufe«. Auch berichtete der Aktionist von Pöbeleien mit Autofahrern — wohl eine ganz neue Perspektive für jemanden, der sonst selbst im Auto sitzt. Am 14. November notierte er in sein Tagebuch: »Langsam gewöhne ich mich an das Radfahren.«
Eine Teilnehmerin bemerkte, daß für sie »als Frau der Angstfaktor dazukommt«, wenn sie abends an der Bushaltestelle 20 Minuten warten müsse. Für einen jungen Mann war es nachts eine besondere Umgewöhnung, nach der Disco oder dem Konzert mit Bussen und Bahnen nach Hause zu kommen.
Im Verlauf des Abends drehte sich die Debatte mehr und mehr um die Verkehrsprobleme der Stadt im allgemeinen. Einig waren sich die Anwesenden in der Forderung nach mehr Busspuren. Verkehrsexperte Michael Cramer von der AL möchte ein Busspurnetz von 400 Kilometer Länge nach Pariser Vorbild. Er befürwortet das »Stockholmer Modell«, bei dem nur Autofahrer mit Umweltkarte innerhalb des S-Bahn- Rings fahren dürfen. Seine Forderung: »Es ist unbedingt notwendig, daß wir unsere Lebensweise ändern. Wenn alle Chinesen Auto führen, wäre das Problem gelöst, dann gäb' es in 14 Tagen keinen Sprit mehr.«
Wolfgang Schwenk, Direktionsabteilungsleiter der BVG und zuständig für Marketing, versetzt sich momentan unfreiwillig mit einem Gipsbein in die Lage behinderter und alter Menschen. Für ihn bedeutet selbst die eine Stufe zum Bus eine Anstrengung. Die BVG ist dabei, Aufzüge auf den Bahnhöfen einzubauen. Daß Greenpeace die Autofahrer zum Stillstand ihrer Auto»mobile« bewegt, unterstützt Schwenk.
Daß das »Auto der schlimmste Feind unserer Umwelt ist«, hat auch Adolf-Eugen Bongard von der TU erkannt. Er leitet dort die Arbeitsstelle für verkehrspädagogische Forschung und Lehre und arbeitet zur Zeit an dem Projekt »Erziehung zum umweltbewußten Fahren«. Bongard möchte den Ansatz schon in der Fahrschule suchen. In unserer dynamischen Gesellschaft plädiert Bongard für eine langsamere Gangart: »Wir haben ein gestörtes Verhältnis zur Mobilität.« Für ihn ist die Flexibilität im Denken der Menschen eine »kolossale Fehleinschätzung«. Wir sind »unbeweglich, uns zu verändern«.
Wie die Teilnehmer von »Freiwillig stillgelegt« nun mit ihrem Auto weiter verfahren, ist noch nicht ausgewertet. Uwe Karstaedt jedenfalls hat genug vom Auto. Mit Fahrzeugpapieren in der Hand bietet er es zum Verkauf an. Ausschlaggebend war für ihn, »daß ich festgestellt habe, daß mir das Auto in vier Wochen nicht gefehlt hat«. Ob sich das Verhalten der Autofahrer in den nächsten Jahren ändern wird, ist fraglich. Michael Cramer bittet um Geduld. Denn »die psychische Umstellung dauert lange«. Heiner Kirch
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