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Bald ein bißchen Wolgarepublik an der Spree

■ Berlin rechnet im nächsten Jahr mit 13.000 Aussiedlern aus der Sowjetunion/ Die Rußlanddeutschen sollen im Ostteil wohnen

Berlin. Das endlose Tauziehen um die Wiedererrichtung einer deutschen Republik an der Wolga hat Folgen für die Berliner. Weil Boris Jelzin sich bisher weigerte, ein Abkommen über die Autonomie der Deutschen in Rußland zu unterzeichnen und die rund 3 Millionen Deutschen in der Sowjetunion das Warten satt haben, rechnet die Senatsverwaltung für Soziales jetzt mit einer verstärkten Ausreisewelle in die Bundesrepublik. Viele Sowjetdeutsche werden nach Berlin kommen.

Nach dem neuen Aussiedler-Aufnahmegesetz vom 1. Juli 1990 müssen Ausreisewillige ihre Anträge bei den deutschen Konsulaten in den Heimatländern stellen. Die Konsulate reichen die Anträge zur Überprüfung an das Bundesverwaltungsamt in Köln weiter. Passieren diese Anträge das Nadelöhr Amt, werden sie entsprechend einer Quote auf die Länder verteilt. Berlin muß 2,7 Prozent aufnehmen. Derzeit werden, wie Patricia Chop, Leiterin der Zentralen Aufnahmestelle (ZAB) der Sozialverwaltung in Marienfelde sagt, in ihrer Behörde rund 4.000 dieser über Köln nach Berlin geleiteten Anträge bearbeitet. Weil sich hinter jedem Antrag, aber meist Familien verbergen und Berlin — im Unterschied zu anderen Bundesländern — keine zusätzlichen Hürden im Verfahren aufgebaut hat, ist damit zu rechnen, daß im nächsten Jahr um 13.000 Rußlanddeutsche in der Stadt eintreffen.

Dieses wird die Stadt vor völlig neue Aufgaben stellen, denn Erfahrungen mit Aussiedlern aus der Sowjetunion gibt es bisher überhaupt nicht. Von den 230 Aussiedlern, die Berlin im Jahre 1991 aufgenommen hat, stammen gerade 83 Personen aus Rußland oder der Sowjetunion. Ein großes Problem für die Integration der in absehbarer Zeit kommenden Aussiedler ist, daß diese fast ausschließlich aus ländlichen Gebieten kommen. Die meisten von ihnen, sagte Krystyna Starkhöfer, Leiterin der DRK-Beratungsstelle für Aussiedler haben noch nie eine Großstadt gesehen. Sie kommen aus Westsibirien, aus Kasachstan oder dem Ural, seien TraktorfahrerInnen, PferdepflegerInnen oder MelkerInnen. Ein zentrales Problem seien daher neben der Einrichtung von Sprachkursen, die Organisation von Umschulungsmaßnahmen.

In Vorbereitung darauf wird das DRK im Januar ein neues Beratungsbüro in der Herman-Matern-Straße eröffnen. Dessen Leiter Wolfgang Lehmann meint, daß die Integration dieser Rußlanddeutschen mindestens fünf Jahre dauern wird. Neben objektiven Schwierigkeiten, wie fehlendem Wohnraum und schlechten Berufsaussichten könnte eine Integration auch deshalb scheitern, sagt Herr Michel, bei der Caritas zuständig für Aussiedler, »weil sich die Rußlanddeutschen aus Angst vor der Moderne und dem Sittenverfall gerne in ihren Großfamilien abschotten«. Er ist auch überzeugt davon, daß es in Berlin bald mennonitische und konservativ baptistische Freikirchen geben wird, denn die religiöse Bindung sei bei diesen Deutschstämmigen »überaus« stark.

Ein großer Teil dieser Neuzuwanderer wird, wie eine Sprecherin der Sozialverwaltung betonte, vorerst in Ost-Berlin leben. Die Stadt hat kürzlich ein Unterbringungsprogramm in Höhe von 53 Millionen Mark beschlossen. 75 Prozent davon zahlt der Bund. Mit den Geldern werden Fertigbauten errichtet, Arbeiterwohnheime saniert und Altbauten für Aussiedler modernisiert. So werden, wenn schon nicht an der Wolga, die deutschen Russen bald an der Spree leben. Anita Kugler

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