: Thema heute: Angst vor Deutschland?
Nächste Woche soll auf Drängen Kohls nachgeholt werden, was mit der Gründung der EWG vor mehr als dreißig Jahren nur in Ansätzen gelang: die Integration Europas. Ein für allemal wollten die Gründerväter der EG damals nationale Sonderwege vor allem der Deutschen ausschließen. Doch über eine wirtschaftliche Teilintegration und engere politische Zusammenarbeit kamen sie nicht hinaus. Trotz Hunderter von Reden und Tonnen bedruckten Papiers: Die Vereinigten Staaten von Europa blieben eine Fatamorgana — bis zur deutschen Vereinigung. Nach dem 9.November 1989 gewann die Idee von einer politischen Union mit einem Schlag neue Bedeutung. Als Gegenleistung für sein Jawort zur deutschen Vereinigung forderte Frankreichs Mitterrand Kohls Zusage zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, sprich Einfluß auf die deutsche Währungspolitik. Im Gegenzug wollte Kohl die politische Union, sprich einen Wechsel vom französischen zum deutschen Regierungsmodell, damit die vereinigten Deutschen nicht nur wirtschaftlich, sondern dank ihrer Masse auch politisch in Europa den Ton angeben könnten. Zusammen mit Mitterrand setzte Kohl Anfang 1990 erstmals die politische Union auf die EG-Agenda. Beim Gipfel in Rom vor einem Jahr puschte der Bundeskanzler dann seinen Vorschlag durch, die politische Union parallel mit der Wirtschafts- und Währungsunion in Maastricht zu verabschieden. Doch ob der Grundstein für die Vereinigten europäischen Staaten von deutschen Gnaden nächste Woche wirklich gelegt wird, ist noch fraglich. Denn seit einiger Zeit wächst der — meist noch passive — Widerstand. Die meisten europäischen Regierungen fühlen sich hin- und hergerissen. Sollen sie weiterhin dem alten Konzept folgen, Deutschland in ein zusammenrückendes Europa einzubinden? Oder haben die Briten recht, die davor warnen, daß die Deutschen in diesem Europa die Macht an sich reißen werden? Als Beispiel dient die Balkanpolitik, wo die Deutschen erste Beweise ihrer neuen Machtgelüste demonstrierten. Wie im Falle Jugoslawiens passiert dann auch bei der politischen Union erst einmal wenig bis gar nichts. Ein folgenschweres Dilemma: einem deutschen Europa wäre schließlich allemal der Vorzug zu geben vor einem neudeutsch- starken Nationalstaat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen