piwik no script img

Das trojanische Pferd der Deutschen

■ Polen zwischen Faszination vor Europa, Furcht vor Kolonisierung und Desinteresse/ Die europäische Einigung ist den meisten Polen ein Fremdwort

Polens Haltung zum Europäischen Wirtschaftsraum und zur europäischen Einigung überhaupt schwankt zwischen Faszination und Furcht. Die Faszination gilt dabei vor allem der so entstehenden wirtschaftlichen Macht und den durch den gemeinsamen Markt gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten. Einher geht damit natürlich die Befürchtung, von dieser Entwicklung ausgeschlossen zu bleiben. Europa komme zwar nach Polen, aber hauptsächlich, um es zu kolonisieren, fand Polens stellvertretender Sejm-Marschall Andrzej Wielowieyski in einem Beitrag für einen Kongreß der „Europäischen Bewegung“ im Oktober in Budapest. Während Polen von einer Masse billiger, weil oft subventionierter Exportgüter aus der EG überschwemmt werde, werde der polnische Export in die EG abgeblockt. Wielowieyski: „Die Rückkehr Europas in unsere Region geschieht vor allem in ihrer klassischen, kolonialen Form des 18.Jahrhunderts durch die Dominanz unseres Marktes durch den Westen.“ Wielowieyski macht sich damit zum Sprecher einer Richtung, die auch in Polens Bevölkerung viele Anhänger hat. Polens öffentliche Meinung ist Meinungsumfragen zufolge nämlich in zwei Lager gespalten: Die „Europa- Enthusiasten“, die die Assoziierung mit der EG und den Anschluß an Europa vor allem als Chance für Polen begreifen. Für sie ist „Europa“ zum Symbol für Modernität, eine funktionierende Wirtschaft und Verwaltung, einen höheren Lebensstandard geworden. Für die „Nationalen“ dagegen bedeutet Europa eine Bedrohung der polnischen Souveränität und die Furcht vor einem deutsch dominierten Europa. Die radikalsten Ableger dieser Richtung, Polens Nationalisten, propagieren daher auch eine Abkehr von der bisherigen Europapolitik. Die EG und die europäischen Institutionen sind für sie vor allem trojanische Pferde der Deutschen. Ansonsten ist die Öffentlichkeit geteilt in jene, die von der europäischen Einigung eher Vorteile für Polen erwarten, und denen, die vor allem die Nachteile sehen. 41Prozent der Befragten einer Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts CBOS erklärten im letzten Jahr, Polen habe von der Einigung nur Vorteile, 28Prozent dagegen sind der Meinung, Polen verliere mehr als es gewinne. Das Interesse insgesamt am Einigungsprozeß ist allerdings gering: Nur sechs Prozent der Befragten gaben an, sich dafür genauer zu interessieren, drei Viertel können mit dem Stichwort „Europäische Einigung“ überhaupt nichts anfangen. Da unterscheiden sich die Wähler ganz offensichtlich von den Gewählten. Kaum eine Partei, die das Wort von der „Rückkehr nach Europa“ nicht zu ihrem Slogan macht. Dazu gehört dabei allerdings in letzter Zeit nicht nur die Assoziierung und die anschließend angestrebte Vollmitgliedschaft in der EG — sondern auch eine Mitgliedschaft in der Nato. Polen sieht sich nämlich weniger als östlicher Nachbar der EG, denn als Puffer zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Da diese geopolitische Lage schon mehrmals dazu geführt hat, daß Polen einfach zwischen seinen stärkeren Nachbarn aufgeteilt wurde, kann es nicht verwundern, daß sich Polens Publizisten Gedanken machen, wie eine Wiederholung unmöglich gemacht werden könnte. So fordert die Tageszeitung 'Zycie Warszawy‘ etwa, die Nato und die amerikanische Präsenz in Europa noch eine Zeitlang beizubehalten: „Um die Macht des vereinten Deutschland auszugleichen und zugleich vor einer möglichen Bedrohung durch Rußland abzusichern.“ Auch Pawel Ziolek, dem Autor des Beitrags, ist dabei klar, daß eine geforderte Ausdehnung des vereinten Europa gen Osten, bis zu Weißrußland und den baltischen Staaten, eine Isolierung Rußlands mit sich bringen kann. Rußland zu isolieren, kann aber wiederum nicht im Interesse Polens liegen — weshalb man auch einen erhofften Nato-Beitritt nicht als gegen die Sowjetunion gerichtet sehen will; zumindest nicht öffentlich. Rußland mit Europa verbinden, aber nicht hineinlassen, heißt daher die Maxime. Als Endziel gilt dabei ein europäisches Sicherheitssystem unter Einschluß Rußlands. Daß die meisten Polen an Europa erst einmal Forderungen stellen, hängt damit zusammen, daß im historischen Bewußtsein der Polen immer noch der „Verrat des Westens“ im Zweiten Weltkrieg stark verankert ist. Demzufolge wurde Polen trotz seiner Bündnisse mit Frankreich und England 1939 im Stich gelassen, anschließend habe der Westen dann dem Expansionsdrang Stalins nachgegeben und Polen gewissermaßen verschachert. So kommt es nur selten vor, daß sich jemand wirklich überlegt, was Polen in den Einigungsprozeß einbringen könnte. Für die Publizistin Ewa Boniecka, die sich ebenfalls in 'Zycie Warszawy‘ für ein „Europa der Regionen ohne Ideologie“ einsetzt, ist klar, daß die polnischen Chancen in Brüssel direkt abhängen „von der Stabilität in unserer Region“. Der Westen fürchte Nationalismus, ethnische Gegensätze und Nachbarschaftsstreitigkeiten der neuen Demokratien. Wolle Polen nach Europa, müsse es vor allem lernen, mit seinen Nachbarn gut auszukommen. Klaus Bachmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen