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Ab null Uhr sind die Mikros zu

■ Die Abwicklung von DT64 scheint trotz heftiger Proteste unabwendbar

Am Ende zwingt der Westen den Osten noch mal zum Rückfall. Es heißt wieder: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Damit in den letzten 24 Stunden des Jugendradios DT64 nicht tränenreiche Abschiedsorgien und wütende politische Statements über den Sender gehen, wird das Programm überwiegend vom Band kommen — vorproduziert wie ganz früher. In den letzten sechs Stunden soll ausschließlich Musik gespielt werden. Am voraussichtlichen Todestag des Senders, dem 31.Dezember 1991, werden die MacherInnen des Radios von ihren HörerInnen, die für DT64 hungerstreiken, Mahnwachen abhalten und auf die Straße gehen, mehr oder weniger getrennt sein. So ist es zumindest geplant.

Natürlich findet der glatte Abgang nicht nur Beifall unter den rund 70 DT-Leuten (50 Ost, 20 West). Moderatorin und Redakteurin Silke Hasselmann (26): „Wir können uns nicht so zurückziehen.“ Allerdings will sie auch nicht, „daß wir alle über den Sender heulen und einen Mythos, eine Heldenlegende basteln“. Chefredakteur Michael Schiewack ist daran gelegen, daß „nicht nochmal jeder Moderator vom Leder zieht, es soll nicht 24 Stunden lang rumgemault werden“. Das letzte Wort sei aber in Sachen Letzter Tag noch nicht gesprochen. Ein anderer Redakteur zuckt mit den Achseln: Nicht mal eine Besetzung des Senders durch die DT64-FreundInnen aus den Unterstützervereinen mache noch Sinn: „Um null Uhr zieht die Post den Stecker, da ist nichts mehr zu machen.“

Die Besetzung des Radios als letzter verzweifelter Akt ist nicht ganz unwahrscheinlich. Denn auf dem Feld der Politik scheint die Schlacht fast verloren — trotz der ellenlangen Unterschriftenlisten, die unter den mehr als eine Million HörerInnen in den FNL und vom Zonenrand gesammelt werden. Da nützt auch das in der Geschichte einmalige Eintreten der Schallplattenbosse vom Bundesverband der Phonographischen Industrie für DT64 nichts. Sie befürchten in einem offenen Brief an die Länderchefs der FNL eine weitere „Verflachung der Rundfunklandschaft“. Schließlich spiele DT64 auch das, was nicht ins computergesteuerte Formatradio paßt: Rock'n'Roll und Independent-Musik, statt Charts rauf und runter, plus Oldies. Auch der Hinweis von Medienpädagogen auf den „Intergrationscharakter“ von DT64 fruchtet nichts, wenn niemand die FNL-weiten Frequenzen herausrückt.

„Es hätte einen Tendenzbeschluß für ein privates Jugendradio geben müssen“, faßt Chefredakteur Michael Schiewack die verzweifelte Lage einen Monat vor dem Aus zusammen. Für die „Privatisierung in einem Land“, etwa in Berlin, reichten die Einschaltquoten nicht. Dafür fänden sich keine Finanziers. Auch eine öffentlich-rechtliche „Parkmöglichkeit“ bis zu einem Staatsvertrag sei momentan nicht in Sicht. Die Politik habe die Chancen, die das Jugendradio biete, nicht wahrgenommen. DT64 sei als „Orientierungsmedium“ gerade angesichts wachsender Jugendprobleme, sozialer Konflikte und Rechtstrends besonders wichtig. Für das Überleben von DT64 sieht Schiewack nun kaum noch Chancen, hofft aber auf einen „heißen“ Dezember. „Es wird das letzte Mal sein, daß so viele junge Leute in der Ex-DDR ihre Bedürfnisse über Parteigrenzen hinweg so vehement vorbringen.“

Nach dem durch nie dagewesene Hörerproteste verhinderten Kapern der DT64-Frequenzen durch Rias1 war der erste Versuch einer Privatisierung im Mai gescheitert. Der Rundfunkbeauftragte und Kommerzfunk-Lobbyist Rudolf Mühlfenzl (CSU) wollte mit seinem Coup den Präzendenzfall privaten Radios schaffen, das über Ländergrenzen hinweg sendet. Doch die von Mühlfenzl bereits eingefädelte Übernahme des Ex-DDR-Senders Radio Aktuell durch Springer/Burda/ Holtzbrinck und DT64 durch Bertelsmann kam nicht durch. Die Landeschefs der FNL sahen die gesetzlichen Rahmenbedingungen noch nicht gegeben und die Konkurrenzlage im dualen System zu sehr tangiert.

Auch keine der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in den FNL hat Intersse an einer Übernahme der einzigartigen Rock'n'Roll- und Jugendkulturwelle DT64 gezeigt. Dazu ist sie den Parteipolitikern und Anstaltsjournalisten wohl zu kritisch und zu links. Sie wollen lieber eigene Jugendprogramme, auf die sie den entsprechenden Einfluß ausüben können. Und was die private Lösung angeht: Mecklenburg-Vorpommerns Parlament lehnte einen entsprechenden Tendenzbeschluß auf PDS-Antrag gerade ab. Nur die Parlamente Brandenburgs und Berlins haben ihre Regierungen aufgefordert, sich für private Frequenzen einzusetzen.

Kurt Biedenkopf (CDU), Landeschef in der DT64-Hochburg Sachsen, ergeht sich — wie viele PolitikerInnen aus allen Lagern — bislang nur in lauen Nettigkeiten gegenüber DT64. Seine Partei aber hält das Jugendradio für eine Art 'Neues Deutschland‘ im Äther. DT64 konserviere „ein Sondergebiet auf dem Boden der Bundesrepublik“, sei der „Überwindung der Teilung nicht förderlich“ und sei „bis jetzt den Beweis schuldig geblieben, daß es zu einer fairen politischen Berichterstattung willens und fähig ist“.

Was natürlich willentlicher Quatsch ist. Denn das Gegenteil ist der Fall. DT64 stellt einen Teil der Identität von Ex-DDR-Jugendlichen dar und gibt Hilfestellung in der Einheit. Was den Politikern auf die Nerven fällt, sind in Wahrheit die Tips für den aufrechten Gang oder die zwei Stunden Wort der Talk-Show Veto — wo die Vergangenheit und die Gegenwart nicht nach Schwarzweiß-Mustern bearbeitet werden. Schon ein Jahr nach seiner Etablierung als Jugendsonderprogramm anläßlich des „Deutschlandtreffens“ (DT) der Jugend gerieten die DT64- Leute mit der SED und dem 'Neuen Deutschland‘ aneinander. DT64 trete den „Erscheinungen der amerikanischen Unmoral und Dekadenz“ im „sauberen Staat“ DDR nicht offen entgegen. Zwar war das Programm kein Hort des Widerstands, aber es hatte mehr Freiräume als andere Medien. Die vielfach auf illegalen Umwegen besorgten Platten, die DT64 auflegte, waren der Partei wenig genehm. Legende ist auch die Kommentierung des Verbots der Glasnost-Zeitung 'Sputnik‘ durch eine Moderatorin im Jahre 1988. „Ein Sputnik ist heute abgestürzt.“ Im Juni 1989 verweigerten die DT- Leute das Verlesen der offiziellen Meldungen über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Im Oktober 1989 schloß sich DT64 den demokratischen Resolutionen und Erklärungen der Bürgerbewegungen an, berichtete als erster DDR-Sender über die Leipziger Montagsdemo und setzte nach der Wende als erste aller Ost-Redaktionen die alten Chefs ab.

Rush-Hour-Moderator Thomas Kroh, 25, hat schon die letzte Nachrichtensendung von DT64 auf dem Computerschirm. Sie soll am 31.12. um 18 Uhr laufen und ist eine Satire über einen späten Sieg der DDR im Systemkampf. Da wehren sich die Ost-Liberalen gegen den vorbestraften Lambsdorff, da steigt Sachsenring bei Daimler-Benz ein und werden die Länder wieder in Bezirke umgewandelt. Sein Kollege Bert Kanthak, Chef vom Dienst und Mitte 30, hat sich trotz Skepsis für den ersten Januar als „Tageschef“ eingetragen: „Für alle Fälle“. Hans-Hermann Kotte

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